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Infineon plant milliardenschweren Ausbau in Dresden
In den Dresdner Chipfabriken von Infineon werden viele “Industrie 4.0”-Prinzipien schon heute erprobt – auch das Miteinander von Roboter und Mensch. Auch eine neue 300-Millimeter-Fabrik für Hochspannungs-Chips steht zur Debatte

Der Halbleiterkonzern Infineon will in den kommenden Jahren etwa 1,1 bis 2,4 Milliarden Euro in seinen Standort in Dresden investieren. Das haben die beiden Standort-Geschäftsführer Thomas Morgenstern und Raik Brettschneider im OIGER-Interview angekündigt. Zur Debatte steht unter anderem ein neues Fabrikmodul. Auch neue Jobs sind geplant: In Summe soll die Belegschaft bis zum Jahresende 2021 von jetzt zirka 2800 auf dann 2900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steigen.

„Unsere Kapazitäten sind jetzt schon zu fast 100 Prozent ausgelastet“, erklärte Thomas Morgenstern die Hintergründe. Die Nachfrage für die Halbleiter aus Dresden sei groß. Viele Aufträge kämen aus dem Automobilsektor, der früh aus der Coronakrise wieder hochgefahren sei und für seine neuen Elektroautos mehr Leistungselektronik als früher brauche. Gefragt seien – nicht zuletzt durch den 5G-Ausbau – aber auch Mobilfunk-Chips. Hinzu kommen der Digitalisierungschub und die Nachfragespitzen, die als indirekte Folgen der Pandemie entstanden sind: Spielekonsolen, Computertechnik für Hausunterricht („Home Schooling“), Videokonferenzen und Heimkino („Video Streaming“) – all dies ist auf elektronische Bauelemente angewiesen. Nicht zuletzt braucht auch die allgemeine Industrie immer mehr Spezialchips und Sensoren.

Deshalb möchten Morgenstern und Brettschneider einerseits die Produktionskapazitäten für Automobil-, Leistungs- und andere Elektronik in den bereits existierenden Fabrikmodulen für 1,1 Milliarden Euro ausbauen. Andererseits erwägt die Infineon-Führung aber auch, auf dem Werkgelände ein viertes Fabrikmodul für rund 1,3 Milliarden Euro zu errichten, das Chips auf 300 Millimeter großen Scheiben produziert. Es soll sich auf Leistungselektronik fokussieren, die hohe Spannungen und Ströme verträgt, wie sie beispielsweise für Elektroautos, Solar- und Windkraftwerke benötigt werden.

Ob und in welchem Umfang dieses vierte Fabrikmodul in Dresden-Klotzsche realisiert wird, hängt aber von der Marktlage und von staatlichen Subventionszusagen ab. „Ein Beihilfeanteil von 25 Prozent oder mehr wäre notwendig“, sagte Raik Brettschneider. Eine entsprechende Ideenskizze habe Infineon Dresden nun für das jüngste Mikroelektronik-Förderprogramm „Wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse – 2“ (IPCEI 2) bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eingereicht. Parallel dazu bemüht sich das Unternehmen auch um IPCEI-2-Zuschüsse für die geplanten Erweiterungen in den bereits gebauten Fabrikmodulen.

Die Infineon-Manager verweisen in diesem Zusammenhang auf die teils erheblichen Subventionen und anderen Vergünstigungen, die viele Hochtechnologie-Unternehmen in Amerika und Asien bekommen. Die Mikroelektronik spiele eine Schlüsselrolle für die gesamte Wirtschaft, begründet Brettschneider diesen Ruf nach Beihilfen. „In Sachsen und Dresden haben die Politiker das längst verstanden. Leider funktioniert das auf Bundes- und EU-Ebene noch nicht so gut“, sagt er. „Dabei sollte allen klar sein, wie wichtig die Halbleiterindustrie für die Lösung großer gesellschaftlicher Probleme bis hin zum Klimawandel ist.“

Rückblick: Der Infineon-Standort Dresden geht auf eine Speicherchip-Fabrik zurück, die 1994 die Halbleitersparte von Siemens hier errichtet hatte. Als der Elektrokonzern diese Sparte 1999 als „Infineon“ ausgründete, ging auch die Dresdner Fabrik an das neue Unternehmen über. 2004 spaltete sich dann die Infineon-Speichersparte als „Qimonda“ ab, damals wurde der Standort vorübergehend zweigeteilt: Qimonda übernahm die Fabrik, die Speicherchips auf 300-Millimeter-Siliziumscheiben (Wafer) herstellen konnte. Infineon behielt die benachbarten beiden 200-mm-Werke, automatisierte sie nach und fokussierte sich dort auf spezielle Logikchips. 2009 ging Qimonda pleite und Tausende Jobs in Dresden verloren. Zwei Jahre später erwarb Infineon das 300-mm-Werk von Qimonda-Insolvenzverwalter Michael Jaffé und rüstete es auf Leistungs-Halbleiter um.

2018 stieg Infineon Dresden, das sich bis dahin eher auf neue Fertigungsverfahren konzentriert hatte, auch in die Produktentwicklung ein. Dafür baute Leiter Uwe Gäbler ein neues „Development Center“ (DC) für Automobilelektronik und Künstliche Intelligenz (KI) auf. Mittlerweile beschäftigt dieses Entwicklungszentrum rund 60 Experten und Expertinnen – langfristig sollen es 200 bis 250 werden. Der Fokus liegt derzeit auf Chips und Sensortechnik für die Antriebsstränge von Elektroautos, für moderne Assistenzsysteme und für dezentrale KI-Lösungen („AI@Edge“), die direkt in Radar-, Kamera- oder andere Sensormodule im Auto integriert werden.

Rechnet man diese und weitere Projekte sowie die jüngeren Ausbauten am Standort zusammen, so hat Infineon allein in den vergangenen drei Jahren rund eine halbe Milliarde Euro in den Standort Dresden investiert und die Belegschaft um 250 auf nun etwa 2800 Beschäftigte verstärkt. Etwa 140 Millionen Euro fließen außerdem in diesem Jahr in neue Fertigungsanlagen für das 300-mm-Modul, das mit der Produktion von Leistungshalbleitern bereits voll ausgelastet ist: Infineon erweitert die Kapazität dort von 320.000 auf 400.000 Layer-Starts (Chipebenen) pro Jahr. „Dresden ist im Konzernverbund der wichtigste Standort für Leistungshalbleiter“, erklärte Thomas Morgenstern.

Parallel zu den Ausbauten in Sachsen fahre demnächst ein zweites Fabrikmodul für Leistungshalbleiter im österreichischen Villach hoch. Geplant sei, die Dresdner und Villacher Werke zu einer großen virtuellen Fabrik für Leistungshalbleiter zu verschmelzen. Der Konzern verspricht sich von diesem „One Virtual Fab“-Konzept einerseits Effizienzvorteile, anderseits aber auch mehr Liefersicherheit für die Kunden: Nach außen sieht es aus, als ob die Aufträge in einer Fabrik abgearbeitet werden. Tatsächlich aber sind die Lose ausfallsicher auf mehrere Standorte verteilt.

Damit reagiert Infineon auch auf die Diskussion um stabilere Lieferketten, die bereits vor der Corona-Krise an Fahrt gewonnen hatte: Handelskriege, Seuchen oder auch Kälteeinbrüche wie jüngst in Texas können ganze Industrie binnen Tagen ausbremsen, hat die Erfahrung gezeigt. Klug beraten ist da, wer auf mehrere Lieferquellen zugreifen kann – oder eben virtuelle Fabriken, die physisch auf mehrere Länder oder gar Kontinente verteilt sind.

Dass allerdings in Dresden wie zuvor im sonst so sonnigen Süden der USA auch Strom und Wasser plötzlich ausfallen und die Chipfabriken stilllegen, können sich Thomas Morgenstern und Raik Brettschneider kaum vorstellen: Deutsche Fabriken – und speziell die Halbleiterwerke im Silicon Saxony – seien meist mit eigenen Energieversorgungen und Reservesystemen so gut abgesichert, dass ein Zusammenbruch unwahrscheinlich sei. „Wir haben den Sturm Kyrill weggesteckt, den plötzlichen Kälteeinbruch vor ein paar Wochen, aber auch sehr kalte Winter mit zweistelligen Minusgraden“, betont Morgenstern, der vor dem Chefposten bei Infineon bereits Führungspositionen bei Globalfoundries, Qimonda und Bosch innehatte, die sächsische Mikroelektronik-Branche also recht gut kennt. „Wir haben hier eine ziemlich starke Infrastruktur.“

Autor: Heiko Weckbrodt, OIGER