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2. Juli 2021: Pläne für 2-nm-Fabrik: Warum die Halbleiterstrategie der EU völlig verfehlt ist. Eine Analyse von Gerd Mischler
Die EU will den Bau einer 2-nm-Chip-Fabrik fördern, um bei Halbleitern unabhängig von Asien und den USA zu werden - weshalb das nicht gelingen wird.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) hatten schon bessere Ideen: Um sich bei der Fertigung von Halbleitern aus der Abhängigkeit von Taiwan, Südkorea, China und den USA zu lösen, wollen sie gemeinsam den Bau einer Fabrik vorantreiben, die an einem Standort in Europa Chips mit Strukturbreiten von nur zwei Nanometern produziert. Darauf verständigten sich 22 der 27 Mitgliedstaaten am 7. Dezember 2020 in einer gemeinsamen Erklärung.

Für das Projekt wollen sie bis zu 20 Prozent der Gelder aus der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) - dem Kernstück des Corona-Hilfsfonds der EU - ausgeben. Die ARF ist mit 672,5 Milliarden Euro ausgestattet. Insgesamt stünden für das Projekt also bis zu 135 Milliarden Euro zur Verfügung. Binnenmarktkommissar Thierry Breton, der das Projekt maßgeblich vorantreibt und dafür Intel, Samsung oder die Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation (TSMC) als Partner zu gewinnen versucht, will mit dem Werk Europas Anteil an der globalen Halbleiterfertigung bis 2030 mehr als verdoppeln, auf bis zu 20 Prozent.

Derzeit verhandelt die bayerische Landesregierung mit Intel. Die Bayern haben dem Chipriesen den ehemaligen Luftwaffen-Stützpunkt in Penzing als Gelände für die Fab angeboten und bemühen sich in Brüssel um die Genehmigung für eine Subvention in Höhe von 20 Prozent der Investitionskosten. Diese veranschlagt Intel mit rund 15 Milliarden Euro.

Die EU-Staaten, die die Erklärung unterzeichnet haben, stellen darin zudem fest, dass die Chipfabrik "die technologische Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit Europas sowie seine Fähigkeit sichern soll, aktuelle und künftige soziale und ökologische Herausforderungen zu bewältigen." Experten und EU-Beamte ebenso wie die Vorstände großer Halbleiterunternehmen wie Infineon oder ASML bezweifeln jedoch, dass sich dieses Ziel mit der 2-Nanometer-Fab erreichen lässt.

Allerdings teilen sie Bretons Sorge, dass die EU bei Halbleitern mit Strukturbreiten unterhalb von 22 Nanometern in einem gefährlichen Ausmaß von Partnern im Ausland abhängig ist. Bei Tools und Software für das Design von Halbleitern seien die Mitgliedstaaten sogar vollständig auf die Vereinigten Staaten angewiesen, stellt die EU-Kommission in einem Arbeitspapier zur ihrer 2020 veröffentlichten Industriestrategie fest.

Daher laufen europäische Unternehmen auch zunehmend Gefahr, in der aktuellen geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA und China zerrieben zu werden. Denn sie sind auf Zulieferungen von Partnern in der Volksrepublik ebenso wie in den Vereinigten Staaten angewiesen.
Zugleich machen sie in jedem der beiden Länder meist (noch) gute Geschäfte. Peking und Washington könnten die Firmen aber davon abschneiden, wenn sie im Zuge ihres Technologiekonflikts verbieten, in den USA oder China hergestellte Vorprodukte und Komponenten in das jeweils andere Land auszuführen.

Europas Halbleiterbranche folgt eigenem Technologiepfad

Europäische Halbleiterhersteller wie NXP, Bosch, Infineon oder STMicroelectronics haben zuletzt ihre Fertigungskapazitäten in der EU ausgeweitet. So eröffnete Bosch Anfang Juni 2021 in Dresden eine Fabrik, deren Bau eine Milliarde Euro kostete. Infineon hat seine Produktion im österreichischen Villach erweitert und will dort im dritten Quartal den Betrieb aufnehmen.

Doch löst das die Abhängigkeit Europas von Asien und den USA nur bedingt. Denn das neue Werk von Bosch kann Chips mit Strukturbreiten von bis zu 65 Nanometern produzieren. Infineon setzt in Villach nicht auf superdünne Strukturbreiten, sondern auf Halbleiter aus Verbundwerkstoffen wie Siliziumkarbid und Galliumnitrit.

Damit folgen die Werke einem anderen Technologiepfad als der Produktion immer kleinerer Knoten, wie sie TSMC und Samsung Foundry betreiben. Bis Ende 2022 will TSMC in Taiwan die Massenproduktion von Strukturbreiten von nur noch drei Nanometern einführen. Chips mit derart dünnen Strukturbreiten verbauen heute vor allem die Hersteller von Unterhaltungselektronik und Netzwerktechnik für den Mobilfunk sowie Hardware für Datenzentren. In industriellen Anwendungen und Fahrzeugen jedoch - den Märkten, auf denen europäische Halbleiterunternehmen den Großteil ihrer Umsätze machen - werden sie bislang kaum benötigt.

Das könnte sich durch das autonome Fahren und den zunehmenden Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Industrie 4.0 allerdings künftig ändern. Europa kann diesen Bedarf bislang nicht bedienen. Denn hier gibt es derzeit keine Chipfabrik, die Strukturbreiten unterhalb von 22 Nanometern herstellt.

Wenn die EU kein Unternehmen findet, das die geplante 2-Nanometer-Fab baut und betreibt, wird sich daran nichts ändern. Die leistungsfähigsten Halbleiter werden dann auch künftig in Ostasien und den USA produziert. Dort planen TSMC und Samsung Foundry derzeit massive Investitionen. Wie die Taipei Times berichtet, wird TSMC im US-Bundesstaat Arizona nicht nur, wie schon 2020 angekündigt, eine Fab für die Produktion von Chips im 5-Nanometer-Bereich errichten. Die Taiwaner wollen dort zudem ebenfalls ein Werk aufbauen, das Halbleiter mit Knoten von nur drei Nanometern herstellt. Auch Samsung sucht momentan nach einem Standort für eine neue Fabrik in den USA.

Acht von zehn Unternehmen, die vom Digitalverband Bitkom zur Abhängigkeit der deutschen Industrie von Technologie-Importen befragt wurden, sind deshalb skeptisch. Sie befürchten, dass die Bundesrepublik bei IT-Hardware, Netzwerktechnik für den 5G-Mobilfunk sowie Chips für die künstliche Intelligenz zu sehr von ausländischen Anbietern abhängig ist und es auch künftig bleibt.

Alle (100 Prozent) Umfrageteilnehmer sind davon überzeugt, dass die Bundesrepublik mehr digitale und technologische Souveränität erlangen muss, um nicht erpressbar zu sein. Jeder dritte Befragte stimmte der Aussage zu, dass sich sein Unternehmen nicht wehren könne, wenn es durch ausländische Partner oder Regierungen unter Druck gesetzt würde. Jeder fünfte Betrieb müsste nach maximal einem Jahr aufgeben, wenn er von Technologie aus dem Ausland abgeschnitten würde.

Dieses Dilemma will die EU mit der 2-Nanometer-Fab lösen. "Nur ist dies nicht der Weg, auf dem die Gemeinschaft mehr technologische Souveränität gewinnen wird", warnt Jan-Peter Kleinhans, Leiter des Themenbereichs Technologie und Geopolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung. Denn die Fab werde keine analogen Halbleiter, Sensoren oder Chips für die Leistungselektronik, Industrie oder den Autobau herstellen, wie sie die europäische Industrie benötigt. "Die Fab bekäme daher nicht genug Aufträge von europäischen Kunden", warnt Kleinhans.

Ondrej Burkacky, Partner und Halbleiter-Experte bei der Unternehmensberatung McKinsey, bestätigt das: "Der Bedarf für Chips mit einer Strukturbreite von sieben Nanometern und kleiner liegt in der ganzen EU bei rund 1.800 Wafern am Tag. Das entspricht nicht mal der Kapazität eines Produktionsmoduls bei TSMC." Nur wenn sie zu weit über 80 Prozent ausgelastet wäre, würde sich die Investition in die europäische 2-Nanometer-Fab jedoch in einem überschaubaren Zeitraum amortisieren, erwarten Branchenkenner.

Um diese Auslastung zu erreichen, wäre die EU auf Chipbestellungen aus dem Ausland angewiesen. Die Abhängigkeit bekäme damit lediglich ein neues Gesicht. Außerdem würde die Fab Europa nur bei der Belichtung und Produktion von Chips mit ultradünnen Nodes unabhängig machen. Bei Chipdesign-Software, bestimmten Maschinen und Chemikalien für die Waferproduktion bliebe Europa weiter von den USA und Asien abhängig. "Die 2-Nanometer-Fab ist also der falsche Weg", fasst Kleinhans zusammen.

Der Plan geht außerdem von der falschen Annahme aus, dass ein Land, das technologisch souverän sein will, alle Produkte selbst herstellen muss, um Abhängigkeiten von anderen Staaten zu vermeiden. "Technologische Souveränität jedoch ist die Fähigkeit, politische und wirtschaftliche Maßnahmen selbstbestimmt wählen und ergreifen zu können. Hierzu benötigt es internationale resiliente Lieferketten und eine Stärkung der eigenen Kompetenzen - jedoch keine Abschottung oder Autarkie", erklärt Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). Diese Entscheidungsfreiheit habe Europa, wenn es über seine Handelsbeziehungen gegenseitige Abhängigkeiten schafft und selbst etwas anbieten kann, auf das andere Länder dringend angewiesen sind.

"Europa hat in diesem Spiel vielleicht nicht so viele Karten in der Hand wie andere Länder, aber doch genug, um mitspielen zu können", ergänzt SNV-Experte Jan-Peter Kleinhans. So sitzen mit Aixtron und ASML führende Anlagenlieferanten für Halbleiterunternehmen in Europa. Weder Samsung noch TSMC oder Intel können ihre Werke ohne Anlagen von ASML für die EUV-Lithographie betreiben.

Chemiekonzerne wie Linde und Merck wiederum liefern Gase, auf die Wafer-Produzenten nicht verzichten können. "Viele europäische Unternehmen haben zudem eine führende Stellung bei der Fertigung von Verbindungshalbleitern", sagt ZVEI-Geschäftsführer Weber. Auch bei Halbleitern für die in der E-Mobilität besonders wichtige Leistungselektronik, Chips für Sicherheitsanwendungen und smarten Sensoren für KI-Systeme sind europäische Anbieter stark.

Wenn die EU ihre technologische Souveränität stärken wolle, müsse sie den Führungsanspruch europäischer Unternehmen in diesen Technologiefeldern sichern und ausbauen, fordert der Präsident des ZVEI, Gunther Kegel. Das hat die Staatengemeinschaft auch erkannt. Deshalb versucht sie neben der 2-Nanometer-Fab derzeit ein Important Project of Common European Interest (IPCEI) im Bereich der Mikroelektronik auf die Beine zu stellen. Es soll ein erstes derartiges Projekt fortsetzen, das bereits 2018 initiiert wurde.

Die an einem IPCEI teilnehmenden Mitgliedstaaten können Unternehmen nicht nur für deren Forschungs- und Entwicklungsarbeit Beihilfen gewähren, sie dürfen auch den Aufbau von Fertigungskapazitäten fördern. Das verbietet das Wettbewerbsrecht der EU zwar grundsätzlich. Bei einem IPCEI wird dies aber außer Kraft gesetzt, weil der Nutzen des Projekts für alle Mitgliedstaaten überwiegt.

"Damit hat Europa die Möglichkeit, auf die neue geopolitische Weltlage zu reagieren", erklärt ZVEI-Chef Wolfgang Weber. Die aktuellen Streitigkeiten zwischen den USA und China und die daraus folgenden industriepolitischen Maßnahmen führten in der EU zunehmend zu der Erkenntnis, dass europäische Unternehmen im globalen Technologiewettlauf intensivere Unterstützung benötigen.

Im Rahmen des ersten IPCEI zur Mikroelektronik vergaben Italien, Frankreich, das Vereinigte Königreich und Deutschland Fördergelder in Höhe von 1,75 Milliarden Euro. Bosch erhielt davon 140 Millionen für den Bau seiner neuen Fabrik in Dresden. Auch Infineon, Osram und Zeiss bekamen für ihre Werke in Dresden, Regensburg und Oberkochen Geld aus dem Programm.

Das IPCEI, das nun ins Leben gerufen werden soll, soll "Projekte in Bereichen fördern, in denen Europa Nachholbedarf hat beziehungsweise wesentlich abhängig von nichteuropäischen Unternehmen ist. Dies betrifft Entwicklung, Design und Produktion von entsprechenden Hard- aber auch Softwarekomponenten", erklärt das Bundeswirtschaftsministerium.

Rückstände sieht SNV-Fachmann Jan-Peter Kleinhans in Europa vor allem bei der forschungsintensiven Entwicklung von Halbleiter-Architekturen. Der Anteil der EU am Weltmarkt für das Design von Chips hat sich in den vergangenen zehn Jahren auf nur noch zwei Prozent halbiert. Die EU müsse deshalb Forschungsaktivitäten europäischer Halbleiterunternehmen sowie Startups in dem Bereich stärken und versuchen, in Europa ein Chip-Design-Ökosystem zu entwickeln, fordert Kleinhans. "Dabei könnte sie mit der Fraunhofer-Gesellschaft in Deutschland, IMEC in Belgien und CEA-Leti in Frankreich auf die weltweit wahrscheinlich wichtigsten Forschungsverbünde für die Halbleiterindustrie zugreifen", erklärt Kleinhans.

Gelänge es der EU, in den kommenden fünf bis zehn Jahren Unternehmen zu entwickeln, die im Chip-Design eine führende Position innehaben, gäbe es in Europa auch Bedarf an Fabriken, die Chips mit ultradünnen Knoten fertigen können, ist der Experte überzeugt. "Für TSMC oder Samsung wäre es dann attraktiver, eine Fabrik in Europa zu bauen. Die EU-Kommission befände sich in einer vollkommen anderen Verhandlungsposition", fasst Kleinhans zusammen.

Um beim Design von Chips aufzuholen, ist jedoch viel Geld nötig. Die führenden US-Firmen auf dem Markt, Nvidia, Broadcom und Co., investieren bis zu 30 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. In internationalen Partnerschaften könnte es leichter gelingen, hier aufzuschließen. Als Partner kämen dabei nicht nur die USA in Frage. "Auch Japan und Südkorea haben starke Halbleiterunternehmen und müssen sich in der geopolitischen Auseinandersetzung der USA mit China behaupten", meint Ondrej Burkacky von McKinsey.

Allerdings hat sich Südkorea Ende Mai 2021 für eine strategische Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten entschieden. In diesem Rahmen wollen beide Seiten ihre Investitionen auf allen Stufen der Halbleiterwertschöpfungskette eng miteinander abstimmen.

Von solchen Kooperationen ist die EU weit entfernt. Überhaupt hapert es bei der Umsetzung des zweiten IPCEI. "Das müsste viel schneller und unbürokratischer gehen", fordert Jan-Peter Kleinhals von der SNV. Zwar haben Unternehmen mehr als 50 Konzepte für Projekte eingereicht, die sie mit Förderung durch das IPCEI gerne umsetzen würden.

"Doch bislang haben sie noch keine klaren und verlässlichen Zusagen dazu bekommen, mit welchen Beihilfen sie in welchem Zeitraum rechnen können", kritisiert Kleinhals. Das stört auch ZVEI-Geschäftsführer Wolfgang Weber. "Die Strategie stimmt. Aber es fehlen zeitlich klar definierte Schritte zur Umsetzung, die nun endlich folgen müssen", so der ZVEI-Chef.

Dass dies so langsam geht, liegt auch daran, dass die Diskussion über die 2-Nanometer-Fab die ganze Aufmerksamkeit der Politiker in Brüssel, Paris, Berlin und anderen europäischen Hauptstädten beansprucht. Die EU hatte wirklich schon mal bessere Ideen als den Bau einer Halbleiterfabrik, die viel Geld kostet, aber keine Probleme löst.