Warum Wertschätzung im Job so wichtig ist - Carolin Wilms, FAZ, 26.08.2022
Alle, die arbeiten, wollen gesehen und anerkannt werden. Aber manche Chefs bekommen es einfach nicht hin.
Der Kollege erzählt in der Kaffeepause, dass sein Vorgesetzter eine Analyse, die er erarbeitet habe, als sein Werk vorgestellt und dafür großes Lob vom Management erhalten habe. Er verdreht die Augen, seine Zuhörer nicken solidarisch. „Geringschätzung ist verletzend“, sagt Michael Knoll, Arbeitspsychologe an der Uni Leipzig. Es sei wichtig, von anderen anerkannt und geschätzt zu werden. „Wir wollen etwas zurückbekommen, wenn wir investiert haben.“ Soziologische Forschung zeige, dass Instanzen wie Familie oder Kirche heute eine geringere Bedeutung als früher haben, Erfolg in der Arbeit aber weiterhin als Wertmaßstab diene. Eine Befragung zu Alltagserfahrungen in Deutschland ergab 2019, dass fast 60 Prozent Wertschätzung am Arbeitsplatz empfanden, rund 55 Prozent aber auch schon Geringschätzung erlebt haben. „Wertschätzung hat immer mit einer gewissen Haltung zu tun“, sagt die Psychologin Meltem Avci-Werning. „Die Grundhaltung für ein respektvolles Miteinander gilt aber für beide Richtungen.“
Feedback-Gespräche sind eine Gelegenheit, Anerkennung auszusprechen oder Kritik zu äußern. Dazu müssen sie aber stattfinden. Stattdessen hört man oft andere Geschichten: dass nämlich Gespräche mit Vorgesetzten ständig kurzfristig abgesagt werden, immer etwas anderes gerade wichtiger sei – und am Ende die Motivation verloren geht und in die Kündigung mündet. Ein Gegenbeispiel ist das Unternehmen Vias Rail aus Hagen: „Interesse an der Arbeit und am Leben der Mitarbeitenden zu zeigen ist unsere Art, Wertschätzung auszudrücken“, sagt Peter Bosse, der Geschäftsleiter Personal. Dafür versuche man Anlässe zu schaffen. An den Standorten stellt das private Bahnunternehmen mit rund 700 Beschäftigten öfter Currywurst- oder Kaffeebuden auf, damit Mitarbeiter und Geschäftsführung ins Gespräch kommen.
Arbeitspsychologe Knoll sagt, dass Anerkennung an Bedeutung gewinne. Früher sei es klarer gewesen, wie man Karriere machen könne. Heute gebe es mehr Unsicherheit. Gerade bei Projektarbeiten seien Beziehungen flüchtiger als früher, zudem fehlten in Zeiten von Homeoffice und Distanzarbeit die Zwischentöne in der Kommunikation. In der rationalisierten, verdichteten Arbeitswelt bleibe Wertschätzung auf der Strecke.
Meltem Avci-Werning, Präsidentin des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen, findet, dass kulturelle und biographische Unterschiede großen Einfluss darauf haben, ob und wie Wertschätzung gezeigt wird. Das schwäbische „Nicht geschimpft ist genug gelobt“ mag genügsamen Menschen ausreichen. Wer hingegen ständig alle lobt, stellt keine Unterschiede heraus, und die Anerkennung verliert ihre Besonderheit. Zudem werden wertschätzende Bemerkungen nicht von jedem so verstanden, wie sie gemeint seien. Deshalb solle man sich vergewissern, ob sie angekommen sei. Knoll sagt, dass auch konstruktive Kritik wertschätzend sei. Sie zeige, dass man Zeit und Energie investiert habe. Respektvoller Umgang wirkt positiv auf die Belegschaft, wie eine amerikanische Studie von 2021 zeigt: Die Mitarbeiter waren umso zufriedener mit ihrer Arbeit, je respektvoller mit ihnen umgegangen wurde. Sie setzten sich auch stärker für die Unternehmensziele ein als diejenigen, die sich nicht respektiert fühlten.
Ein früherer Geschäftsführer berichtet, dass die Eigentümer seines Unternehmens sich auf die Zahlung von Boni beschränkten. Wertschätzung für seine Erfolge wurde ihm nur im Arbeitszeugnis attestiert, als er die Firma wegen ausbleibender Anerkennung verließ. Dabei, so Knoll, sei es im täglichen Umgang sehr wohl möglich, Mitarbeiter wertzuschätzen: persönlichen Dank auszusprechen, zu grüßen, ihre Meinung einzuholen, ihren Anteil am Erfolg herauszustellen, Freiräume zu gewähren. Wichtig sei, dass dies ehrlich gemeint und kein einmaliges Vorkommnis sei, das in einem allgemein gleichgültigen Betriebsklima aufgesetzt wirke. Peter Bosse berichtet, dass der Gesellschafter seines Unternehmens sich in seiner ersten Arbeitswoche bei ihm vorgestellt habe. Das schaffe Nähe. Ihm falle es leichter, sich mit einer schwierigen Entscheidung an solche Personen zu wenden als an jemanden, der ihm keine Wertschätzung entgegenbringe.
Die Bedeutung von Wertschätzung griff auch die Novelle des Arbeitsschutzgesetzes aus dem Jahr 2013 auf. Seitdem muss die psychische Belastung der Arbeit als Gefährdung durch den Arbeitgeber beurteilt werden: Neben zu hoher Arbeitsintensität und Mobbing wird auch mangelnde Wertschätzung als Risikofaktor aufgeführt. Wertschätzung ist aber nicht immer kostenneutral. Früher seien in einigen Bahnunternehmen Dumpinglöhne gezahlt worden, sagt Bosse. Inzwischen gebe es leistungsgerechte Tarifgehälter, die branchenübergreifend konkurrenzfähig seien. „Ein ordentliches Gehalt ist eine Grundlage, aber noch keine Wertschätzung“, sagt er. Zudem gebe es mal einen Tankgutschein oder eine Essenseinladung, wenn Mitarbeiter ein Projekt abgeschlossen haben oder es besonders viel zu tun gegeben habe. „Das hat eine andere Wirkung als zusätzlich 100 Euro auf dem Konto.“
Der Kollege erzählt in der Kaffeepause, dass sein Vorgesetzter eine Analyse, die er erarbeitet habe, als sein Werk vorgestellt und dafür großes Lob vom Management erhalten habe. Er verdreht die Augen, seine Zuhörer nicken solidarisch. „Geringschätzung ist verletzend“, sagt Michael Knoll, Arbeitspsychologe an der Uni Leipzig. Es sei wichtig, von anderen anerkannt und geschätzt zu werden. „Wir wollen etwas zurückbekommen, wenn wir investiert haben.“ Soziologische Forschung zeige, dass Instanzen wie Familie oder Kirche heute eine geringere Bedeutung als früher haben, Erfolg in der Arbeit aber weiterhin als Wertmaßstab diene. Eine Befragung zu Alltagserfahrungen in Deutschland ergab 2019, dass fast 60 Prozent Wertschätzung am Arbeitsplatz empfanden, rund 55 Prozent aber auch schon Geringschätzung erlebt haben. „Wertschätzung hat immer mit einer gewissen Haltung zu tun“, sagt die Psychologin Meltem Avci-Werning. „Die Grundhaltung für ein respektvolles Miteinander gilt aber für beide Richtungen.“
Feedback-Gespräche sind eine Gelegenheit, Anerkennung auszusprechen oder Kritik zu äußern. Dazu müssen sie aber stattfinden. Stattdessen hört man oft andere Geschichten: dass nämlich Gespräche mit Vorgesetzten ständig kurzfristig abgesagt werden, immer etwas anderes gerade wichtiger sei – und am Ende die Motivation verloren geht und in die Kündigung mündet. Ein Gegenbeispiel ist das Unternehmen Vias Rail aus Hagen: „Interesse an der Arbeit und am Leben der Mitarbeitenden zu zeigen ist unsere Art, Wertschätzung auszudrücken“, sagt Peter Bosse, der Geschäftsleiter Personal. Dafür versuche man Anlässe zu schaffen. An den Standorten stellt das private Bahnunternehmen mit rund 700 Beschäftigten öfter Currywurst- oder Kaffeebuden auf, damit Mitarbeiter und Geschäftsführung ins Gespräch kommen.
Arbeitspsychologe Knoll sagt, dass Anerkennung an Bedeutung gewinne. Früher sei es klarer gewesen, wie man Karriere machen könne. Heute gebe es mehr Unsicherheit. Gerade bei Projektarbeiten seien Beziehungen flüchtiger als früher, zudem fehlten in Zeiten von Homeoffice und Distanzarbeit die Zwischentöne in der Kommunikation. In der rationalisierten, verdichteten Arbeitswelt bleibe Wertschätzung auf der Strecke.
Meltem Avci-Werning, Präsidentin des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen, findet, dass kulturelle und biographische Unterschiede großen Einfluss darauf haben, ob und wie Wertschätzung gezeigt wird. Das schwäbische „Nicht geschimpft ist genug gelobt“ mag genügsamen Menschen ausreichen. Wer hingegen ständig alle lobt, stellt keine Unterschiede heraus, und die Anerkennung verliert ihre Besonderheit. Zudem werden wertschätzende Bemerkungen nicht von jedem so verstanden, wie sie gemeint seien. Deshalb solle man sich vergewissern, ob sie angekommen sei. Knoll sagt, dass auch konstruktive Kritik wertschätzend sei. Sie zeige, dass man Zeit und Energie investiert habe. Respektvoller Umgang wirkt positiv auf die Belegschaft, wie eine amerikanische Studie von 2021 zeigt: Die Mitarbeiter waren umso zufriedener mit ihrer Arbeit, je respektvoller mit ihnen umgegangen wurde. Sie setzten sich auch stärker für die Unternehmensziele ein als diejenigen, die sich nicht respektiert fühlten.
Ein früherer Geschäftsführer berichtet, dass die Eigentümer seines Unternehmens sich auf die Zahlung von Boni beschränkten. Wertschätzung für seine Erfolge wurde ihm nur im Arbeitszeugnis attestiert, als er die Firma wegen ausbleibender Anerkennung verließ. Dabei, so Knoll, sei es im täglichen Umgang sehr wohl möglich, Mitarbeiter wertzuschätzen: persönlichen Dank auszusprechen, zu grüßen, ihre Meinung einzuholen, ihren Anteil am Erfolg herauszustellen, Freiräume zu gewähren. Wichtig sei, dass dies ehrlich gemeint und kein einmaliges Vorkommnis sei, das in einem allgemein gleichgültigen Betriebsklima aufgesetzt wirke. Peter Bosse berichtet, dass der Gesellschafter seines Unternehmens sich in seiner ersten Arbeitswoche bei ihm vorgestellt habe. Das schaffe Nähe. Ihm falle es leichter, sich mit einer schwierigen Entscheidung an solche Personen zu wenden als an jemanden, der ihm keine Wertschätzung entgegenbringe.
Die Bedeutung von Wertschätzung griff auch die Novelle des Arbeitsschutzgesetzes aus dem Jahr 2013 auf. Seitdem muss die psychische Belastung der Arbeit als Gefährdung durch den Arbeitgeber beurteilt werden: Neben zu hoher Arbeitsintensität und Mobbing wird auch mangelnde Wertschätzung als Risikofaktor aufgeführt. Wertschätzung ist aber nicht immer kostenneutral. Früher seien in einigen Bahnunternehmen Dumpinglöhne gezahlt worden, sagt Bosse. Inzwischen gebe es leistungsgerechte Tarifgehälter, die branchenübergreifend konkurrenzfähig seien. „Ein ordentliches Gehalt ist eine Grundlage, aber noch keine Wertschätzung“, sagt er. Zudem gebe es mal einen Tankgutschein oder eine Essenseinladung, wenn Mitarbeiter ein Projekt abgeschlossen haben oder es besonders viel zu tun gegeben habe. „Das hat eine andere Wirkung als zusätzlich 100 Euro auf dem Konto.“