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Investieren in Fortbildung: "Das Gros der Unternehmen ist tatsächlich Mittelmaß"; Maren Hoffmann, Manager Magazin
Unternehmen, die in ihre Mitarbeitenden investieren, sind auch wirtschaftlich erfolgreicher – das zeigt eine neue McKinsey-Studie. Wie Gewinn, Führung und Entwicklung zusammenspielen, erklärt Experte Julian Kirchherr.

Ein Interview von Maren Hoffmann für das Manager Magazin

Der promovierte Politikwissenschaftler Julian Kirchherr ist Partner im Berliner Büro von McKinsey und Experte für Organisations- und Personalthemen sowie die Zukunft der Arbeit.

manager magazin: Herr Kirchherr, Weiterbildung und Umschulung kosten Unternehmen viel Geld. Sie sagen nun: Mitarbeitende zu fördern, zahlt sich für Unternehmen aus. Wie sind Sie vorgegangen?

Kirchherr: Wir haben für die Studie »Performance through People« mehr als ein halbes Jahr lang 1800 börsennotierte Firmen in aller Welt untersucht: Wie erfolgreich war die Firma wirtschaftlich, und wie zufrieden waren die Mitarbeitenden in den vergangenen zwölf Jahren? Weniger als jede zehnte Firma schafft es, in beiden Bereichen top zu sein. Diese Firmen aber, die sowohl ihre Zahlen als auch das Wohl und vor allem die Weiterentwicklung der Belegschaft gut im Blick haben, haben eine anderthalbmal so große Wahrscheinlichkeit wie die anderen, auch erfolgreich zu bleiben. Und mehr Chancen, gute Leute dauerhaft zu halten.

MM: Es gibt auch in der Politik Bestrebungen, Fortbildung zu fördern – Arbeitsminister Hubertus Heil will nach österreichischem Vorbild eine Bildungszeit auf Staatskosten auf den Weg bringen, wurde aber jüngst vom Finanzministerium ausgebremst.

Kirchherr: Für die Firmen lohnt es sich auch unabhängig von staatlicher Förderung, selbst Geld in die Hand zu nehmen. Die Unternehmen, die wir »People and Performance Winner« nennen, haben im Schnitt pro Jahr etwa 74 Stunden pro Mitarbeiter in die Fort- und Weiterbildung investiert – bei den Unternehmen, die ihren Fokus nur auf wirtschaftlichen Erfolg richten, waren es nur 19 Stunden. Das kostet erst mal viel Geld, klar. Aber unsere Studie zeigt: Langfristig zahlt sich das auch finanziell aus. Und das ist keine gefühlte Wahrheit – wir konnten das mit validen Zahlen unterfüttern.

MM: Wie, was und wen fördert man am besten?

Kirchherr: Zuallererst braucht man eine strategische Personalplanung. Das macht in Deutschland erst knapp die Hälfte der großen Firmen. Man muss sich überlegen: Wen habe ich heute im Unternehmen – und welche Mitarbeiter brauche ich in drei, vier, fünf Jahren? Dann muss ich entscheiden: Rekrutieren, Mitarbeiter in neuen Bereichen einsetzen – oder aber Upskilling oder Reskilling.

MM: Das müssen Sie erklären.

Kirchherr: Upskilling ist, wenn sich jeder ein bisschen fortbildet, hier mal was über Projektmanagement lernt, dort was über agiles Arbeiten. Das ist sicher nicht verkehrt. Aber wirklich interessant wird es, wenn Sie Ihre Leute für komplett andere Rollen fortbilden – das ist Reskilling. Das ist ein riesiges Thema beispielsweise in der Automobilindustrie oder in der Energieindustrie. Leute, die am Verbrennungsmotor gearbeitet haben, klassische Ingenieure, sollen künftig in der Fahrzeugsoftware oder Elektromobilität tätig werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Da müssen Sie schon mal ein Jahr oder vielleicht auch anderthalb investieren – das ist fast wie ein zweites Studium. Aber es hält die Mitarbeiter in der Firma und bringt dem Unternehmen die Fähigkeiten, die es braucht, um erfolgreich zu sein.

MM: Klingt aufwendig, fachfremde Leute in völlig neuen Gebieten zu schulen. Warum nicht lieber gleich Spezialisten holen, die nicht erst in anderthalb Jahren anfangen können?

Kirhherr: Was die Firmen brauchen, gibt der aktuelle Arbeitsmarkt gar nicht her. Umschulen ist alternativlos.

MM: Und dann sind die Leute nach anderthalb Jahren gesuchte Spezialisten, denen die Welt offensteht. Und das Unternehmen muss fürchten, dass sie woanders hingehen.

Kirchherr: Das ist natürlich immer die große Sorge. Wenn etwa ein Ingenieur, der bislang am Verbrennungsmotor gearbeitet hat, umschult auf Fahrzeugsoftware, dauert das sicherlich anderthalb Jahre oder länger. Auch eine vermeintlich einfache Umschulung kann schnell mit 20.000 Euro Schulungskosten zu Buche schlagen. Dazu kommt der Ausfall von mindestens 20 Arbeitsstunden in der Woche, in der er seinen Job nicht machen kann, sondern lernen muss. Typischerweise versucht man dann in Deutschland diejenige Person vertraglich für eine bestimmte Zeit ans Unternehmen zu binden. Wir sehen aber auch: Leute, in die eine Firma investiert, bleiben ihr eher treu. Das schafft Loyalität: Mensch, du hast jetzt in mich investiert, und das will ich jetzt auch ein Stück weit zurückgeben.

MM: Nicht alle Fortbildungsinstrumente greifen. Beispiel Bildungsurlaub: Der steht ja fast allen Angestellten zu, aber nur 2 Prozent nutzen ihn.

Kirchherr: Es ist eine offene Frage, ob der Bildungsurlaub, wie er aktuell in Deutschland angeboten wird, Menschen und Unternehmen wirklich weiterbringt. Das ist ja nur eine Woche im Jahr. Wenn jemand, der 15 Jahre lang bei einer Autofirma am Band stand, jetzt auf Bürotätigkeiten umschulen soll, muss man mehr Zeit investieren. Angebote wie Yoga oder Sprachkurse, die viele als Bildungsurlaub machen, sind toll für persönliche Weiterentwicklung der Leute, aber was die Wirtschaft braucht, sind viel intensivere Konzepte. Viele Länder in Europa sind da leider noch nicht sehr weit. Da könnten wir viel von Staaten wie Singapur lernen – oder auch von den USA, wo zwar öffentlich weniger gefördert wird, aber viele Unternehmen das Problem weitaus beherzter angehen.

MM: Haben Sie da ein Beispiel?

Kirchherr: Ich kenne eine US-Versicherung, bei der durch ein sehr starkes Digitalisierungsprogramm sehr viele Tätigkeiten komplett weggefallen sind. Die haben innerhalb von anderthalb Jahren ein Drittel der Belegschaft für andere Tätigkeiten umgeschult. So etwas gibt es in Deutschland noch viel zu selten. Wir haben hier Industrien, die besonders stark vom Wandel betroffen sind, Automobilzulieferer, Energieunternehmen – deren Geschäftsmodelle drehen sich gerade um 180 Grad. Sie fangen gerade erst an, loszulegen.

MM: Wäre das auch eine politische Aufgabe?

Kirchherr: Ich glaube nicht, dass es uns viel bringt, wenn der Staat jetzt Bildungsurlaub noch mal weiter ausweitet oder vielleicht sogar selbst irgendwelche Lernprogramme anbietet. Eine mögliche Idee, die gerade in einigen europäischen Ländern diskutiert wird, ist, eine Art Matching-System aufzubauen. Wenn etwa ein Unternehmen seine Mitarbeiter auf Zukunftsfelder umschulen will, übernimmt der Staat einen Teil der Kosten – aber das Unternehmen kann bestimmen, welches Programm es nutzen will.

MM: Ihre Studie legt den Fokus auch darauf, wie die besten Unternehmen geführt werden. Es ist offenbar auch wirtschaftlich keine schlechte Idee, die Firma zu einem freundlichen Ort zu machen.

Kirchherr: Wenn ein Unternehmen zum obersten Zehntel aufschließen will, ist gute Führung ein wesentlicher Baustein. Das heißt, dass sich die Führungskräfte eher unterstützend verstehen denn als gebietend. Die Mitarbeitenden können sich darauf verlassen, dass sie den Job so machen können, wie sie es für richtig halten, wann sie es für richtig halten, wo sie es für richtig halten. Und bei Problemen ist die Führungskraft immer da, um sie gemeinsam mit ihnen zu lösen. In zu vielen Unternehmen ist das aber alles andere als gelebte Realität. Da heißt es oft: Ich gebe dir ganz genau vor, was du machst, bis wann du es machst, wie und wo du es machst.

MM: Und das generiert weniger Erfolg?

Kirchherr: Das ist eine etwas traurige Erkenntnis aus unserer Studie: Das Gros der Unternehmen ist tatsächlich Mittelmaß. Weder finanziell besonders gut entwickelt noch besonders gut im menschlichen Umgang. Da will man lieber nicht arbeiten.

MM: Bei manchen soll man ja auch gar nicht mehr. Es wird viel Personal abgebaut.

Kirchherr: Das ist ein weltweiter Trend. Aber besonders aggressiv zu beobachten in der Techszene. Unsere Studie beweist: Für die mittel- und langfristige Performance einer Firma ist es meist eine schlechte Idee, viel Personal abzubauen. Die Leute, die jetzt gehen, muss man in ein paar Jahren wieder mühsam und teuer rekrutieren. Und wenn dann noch die Führung mies ist, muss man sich nicht wundern, wenn die gesuchte Fachkraft nach sechs Monaten wieder weg ist.