Chip War: Warum die Halbleiterindustrie im Zentrum der Weltpolitik steht - Ein Essay von Moritz Müller-Freitag, 1E9-Mitglied
Während der Hochphase der Corona-Pandemie kam die Produktion asiatischer Chipfabriken ins Stocken. Die Auswirkungen waren weltweit zu spüren, vor allem die Automobilindustrie war einschneidend betroffen. Doch wie kam es zu dieser Abhängigkeit von Chips aus Asien? Und was bedeutet sie angesichts der wachsenden Spannungen zwischen den Großmächten? Mit diesen Fragen hat sich Moritz Müller-Freitag nach der Lektüre von Chip War, einem Buch des Historikers Chris Miller, beschäftigt. Die deutsche Übersetzung des Buchs erscheint im Herbst im Rowohlt Verlag.
Halbleiter sind das Rückgrat der modernen Gesellschaft. Sie beeinflussen eigentlich alles – von der Rechenleistung in unseren Handys und Laptops bis hin zu geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten. Dabei erfordert die Chipproduktion Fertigungsprozesse, die so komplex sind, dass Tausende von hochspezialisierten Unternehmen entlang weltweiter Lieferketten zusammenarbeiten müssen, um sie überhaupt herstellen zu können.
Da grenzt es an ein Wunder, dass diese 65 Jahre alte Industrie Chips fabrizieren kann, die gerade mal so groß wie ein Fingernagel sind und trotzdem Milliarden winziger Transistoren enthalten – und all das zu Preisen, die in das Budget von alltäglichen Elektronikgeräten passen.
Umso erstaunlicher ist es, dass es bislang kaum lesenswerte Bücher über diese faszinierende Branche gab (weder auf Deutsch noch auf Englisch). Die Ausnahme ist Chip War von Chris Miller, einem Historiker an der Tufts University. Das kürzlich erschienene Buch zeigt erstmals, wie technologische, wirtschaftliche und geopolitische Kräfte die Chipindustrie von ihren Anfängen in den Fünfzigern bis heute geprägt haben.
Das Werk bietet zugleich eine fundierte Einführung in die komplexe Wertschöpfungskette der Chipindustrie. Miller bringt Klarheit in ein Thema, welches in den vergangenen Jahren nicht nur das öffentliche Interesse geweckt hat, sondern zunehmend auch die nationalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten und Europas bestimmt. Die wachsenden Spannungen um Taiwan machen Chip War zum vielleicht wichtigsten Branchenbuch seit Daniel Yergins Klassiker The Prize (1990) über die Geschichte der globalen Ölindustrie.
Von Vakuumröhren zu Mikrochips – mit dem US-Militär als erstem Großkunden
Die Halbleiterindustrie geht auf zwei technologische Durchbrüche kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Der erste Meilenstein war die Erfindung des Transistors im Jahr 1947, der die Vakuumröhre als Hauptbestandteil von Computern ablöste. Der zweite wichtige Entwicklungsschritt war die Einführung des integrierten Schaltkreises im Jahr 1958, bei dem mehrere Transistoren auf einem einzigen Siliziumblock untergebracht werden. Weitere Innovationen ermöglichten es Chipherstellern, die Größe der Transistoren kontinuierlich zu verringern. Dies war von entscheidender Bedeutung, denn: Je kleiner die Transistoren, desto schneller und energieeffizienter wurden sie, und desto mehr von ihnen konnten auf einer bestimmten Fläche untergebracht werden.
So dauerte es nicht lange, bis die Industrie damit begann, immer mehr Transistoren auf immer kleinerem Raum unterzubringen. Aus diesem Wettlauf der Miniaturisierung ging einige Zeit später das Mooresche Gesetz (“Moore’s Law”) hervor – Gordon Moores berühmte Prognose, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem Chip etwa alle zwei Jahre verdoppeln würde, wodurch sich auch die Rechenleistung eines Chips verdoppelte. Das Mooresche Gesetz war im Kern eine deflationäre Kraft, da sich mit der verbesserten Rechenleistung auch die Kosten für eine beliebige Funktionalität etwa alle zwei Jahre halbierten – ein Trend, der bis vor kurzem anhielt.
Wie so oft war das Militär der erste Abnehmer für diese Spitzentechnologie.
Die Raketenindustrie war in den 1950er und 1960er Jahren zu einer der wichtigsten Prioritäten der US-Verteidigungspolitik geworden – sowohl um Menschen in den Weltraum zu befördern als auch um Raketen präzise auf die Sowjetunion zu lenken. Die US-Luftwaffe und NASA sahen sich mit dem Problem konfrontiert, dass man nicht einfach einen zimmergroßen Computer in eine Rakete einbauen konnte. Um Flugkörper mit genügend Rechenleistung auszustatten, mussten die elektronischen Komponenten und insbesondere die Transistoren, die in diesen Geräten verbaut waren, drastisch verkleinert werden.
Mit dieser Absicht wandte sich das Militär an die beiden führenden Chiphersteller der damaligen Zeit: Fairchild Semiconductor erhielt von der NASA einen Großauftrag zur Lieferung von Chips für den Apollo Guidance Computer , während Texas Instruments für die Minuteman-II-Rakete engagiert wurde. Von Satelliten bis hin zu Torpedos setzte das US-Militär im Laufe der Zeit Halbleiter in allen erdenklichen Waffen ein. Die Sowjetunion hingegen fand nie einen eigenen Weg, die Rechenleistung derart zu verkleinern und griff auf eine “Copy It”-Strategie zurück, um mit den amerikanischen Innovationen Schritt zu halten.
Ein wiederkehrendes Thema in Chip War ist der enorme Einfluss, den Amerikas Vorsprung in der Halbleiterindustrie auf die militärische Vorherrschaft während des Kalten Krieges hatte. In den meisten Geschichtsbüchern über diese Ära wird die Rolle der Halbleiter regelrecht vernachlässigt. Stattdessen konzentrieren sich die meisten Historiker auf den Wettlauf ins All, das atomare Wettrüsten, die Rolle der Spionage oder die zahllosen Stellvertreterkriege, die die beiden Supermächte führten.
Spionieren und Kopieren war bei Halbleitern aussichtslos
Millers Buch ist die erste bekannte Erzählung, die einer viel grundlegenderen Frage zum Kalten Krieg nachgeht: Warum konnte die Sowjetunion zwar Raketen und Atomwaffen bauen, aber keine nennenswerte Rechenleistung produzieren? Die Gründe für diese Diskrepanz waren tief im sowjetischen System verankert, welches Risikovermeidung und Nachahmung gegenüber Innovation bevorzugte. Die Resultate waren ausgesprochen zwiespältig: Während Kopieren eine gute Strategie für Branchen war, in denen es während des Kalten Krieges nur wenige technologische Fortschritte gab (wie z.B. Atomwaffen), erwies es sich als eine aussichtslose Strategie für eine Industrie, die sich mit der Geschwindigkeit des Mooreschen Gesetzes weiterentwickelte.
Spionage konnte die Sowjets nicht allzu weit bringen, schreibt Miller: „Ein geklauter Chip erklärt nicht, wie er hergestellt wurde, genauso wie ein geklauter Kuchen nicht erklären kann, wie er gebacken wurde. Das Rezept für Chips war schon damals außerordentlich kompliziert… Jeder Schritt des Herstellungsprozesses erforderte Spezialwissen, das nur selten außerhalb der führenden Unternehmen weitergegeben wurde. Das erforderliche Know-How wurde oftmals nicht einmal dokumentiert. Sowjetische Spione gehörten zu den Besten überhaupt, doch der Prozess der Halbleiterherstellung erforderte mehr Details und Wissen, als selbst der fähigste Agent stehlen konnte.
Außerdem änderte sich der Stand der Technik nach dem Mooreschen Gesetz ständig. Selbst wenn es den Sowjets gelang, ein Chipdesign zu kopieren und den Produktionsprozess zu replizieren, brauchte dies Zeit. Texas Instruments und Fairchild führten jedes Jahr neue Designs mit immer mehr Transistoren ein. Mitte der 1960er Jahre waren die ersten integrierten Schaltkreise bereits veraltet – sprich: zu groß und ineffizient, um noch von großem Wert zu sein… Keine andere Technologie entwickelte sich so schnell. Und in keinem anderen Sektor war das Kopieren von Technologiedesigns eine so aussichtslose Strategie.“
Globalisierung der Lieferketten – schon ab den 1960er Jahren
Die Chips, die in den 1960er Jahren auf den Markt kamen, waren anfänglich so teuer, dass nur das Militär als Abnehmer in Frage kam. Doch dank der exponentiellen Natur des Mooreschen Gesetzes konnten Chips bald auch in kommerziellen Geräten eingesetzt werden. Dies markierte einen wichtigen Wendepunkt für die Halbleiterindustrie. Ohne den zivilen Absatzmarkt hätten die notwendigen Kapitalinvestitionen nur schwer finanziert werden können. Im Jahr 1968 – dem Gründungsjahr von Intel – kaufte die Computerindustrie bereits genauso viele Chips wie das Militär. Und das Absatzvolumen wuchs schnell.
Doch das war nicht die einzige wegweisende Veränderung, die in den 1960er Jahren angestoßen wurde: Amerikanische Chiphersteller begannen außerdem damit, Teile ihrer Produktion nach Südostasien zu verlagern. Lohnkosten waren die treibende Kraft: Fabrikarbeiter in Taiwan oder Hongkong verdienten damals 19 bis 25 Cent pro Stunde, verglichen mit 2,50 Dollar in den USA.
Miller schreibt dazu: „Fairchild stellte seine Wafer weiterhin in Kalifornien her, begann aber damit, die Halbleiter zur Endmontage nach Hongkong zu schicken. Im Jahr 1963, dem ersten Betriebsjahr, wurden in der Fabrik in Hongkong 120 Millionen Endgeräte montiert. Die Qualität der Produktion war hervorragend, denn aufgrund der niedrigen Lohnkosten konnte Fairchild geschulte Ingenieure für den Betrieb der Montagelinien einstellen, was in Kalifornien unerschwinglich gewesen wäre.
Fairchild war das erste Halbleiterunternehmen, das die Montage nach Asien verlagerte. Texas Instruments, Motorola und andere Unternehmen folgten kurz darauf ebenfalls. Innerhalb eines Jahrzehnts verfügten fast alle US-Chiphersteller über ausländische Montagefabriken… Die Halbleiterindustrie globalisierte sich bereits Jahrzehnte vor der eigentlichen Globalisierungswelle und legte damit den Grundstein für die asiatisch geprägten Lieferketten, die wir heute kennen.“
In den 1970er Jahren konzentrierte sich die Chipindustrie zunehmend auf die Entwicklung von DRAM-Speicherchips .* Diese strukturelle Veränderung ermöglichte es anderen Nationen erstmals, aktiv in den Halbleiter-Wettbewerb einzusteigen. Japan setzte den Startschuss, indem es massiv in die Produktion von DRAM-Speicherchips investierte und gleichzeitig andere Bereiche der Elektronikindustrie aufmischte. Angefacht von billigen Bankkrediten und staatlicher Unterstützung begannen japanische Unternehmen einen unerbittlichen Kampf um Marktanteile und unterboten ihre amerikanischen Konkurrenten mit Dumpingpreisen.
Die Auswirkungen für US-Firmen waren verheerend.
Besonders stark traf es Intel – den damals führenden Hersteller von Speicherchips –, dessen Marktanteil zwischen 1974 und 1984 von 83 Prozent auf magere 1,3 Prozent fiel. Mit dem Niedergang des Speicherchips-Geschäfts verlagerte Intel seinen Schwerpunkt notgedrungen auf Mikroprozessoren (CPUs). Der Zeitpunkt erwies sich als günstig: Die Erfindung des PCs ließ die Nachfrage nach CPUs sprunghaft ansteigen und verhalf Intel zu neuer Größe.
Der DRAM-Krieg der 1980er Jahre hatte jedoch nicht nur Auswirkungen auf das Speichersegment. Im Bestreben, ihren Wettbewerbsvorteil zurückzugewinnen, verlagerten US-Chiphersteller weitere Teile ihrer Produktion nach Südostasien. Das ermutigte die Regierungen der ostasiatischen Tigerstaaten dazu, in der globalen Wertschöpfungskette weiter aufzusteigen. Durch steuerliche Anreize und andere Subventionen für Halbleiterunternehmen konnten Länder wie Taiwan und Südkorea ihre Industriekompetenz von einfachen Montagearbeiten (“Assembly, Test & Packaging”) zur eigentlichen Waferherstellung (“Wafer Fabrication”) expandieren, was wesentlich höhere Gewinne ermöglichte. Im Laufe der Jahre vertiefte die Region so auch ihre Sicherheitsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten.
Die fabriklose Revolution: Trennung von Chipdesign und -fertigung
Seit den 1980er Jahren haben zahllose Innovationen das Mooresche Gesetz am Leben gehalten. Zwei davon waren so einschneidend, dass sie die gesamte Branche nachhaltig verändert haben. Die erste war die Revolution des Chipdesignprozesses durch Carver Mead und Lynn Conway, die auf ihr 1979 veröffentlichtes Buch Introduction to VLSI Systems zurückgeht.
Vor der Mead-Conway-Revolution war die Entwicklung von Chips ein mühseliger Prozess, bei der jedes einzelne Bauteil manuell auf einem Chiplayout platziert werden musste. Diese Technik eignete sich zwar gut, als Chips lediglich aus einigen hundert Transistoren bestanden, stieß aber an ihre praktischen Grenzen, als die Komplexität der Schaltkreise auf Zehntausende von Komponenten anstieg.
Die Methoden von Mead und Conway ebneten den Weg für Computerprogramme, die den Prozess, einen Chip zu designen, automatisierten und damit zugänglicher und effizienter machten. Im Laufe der Zeit entstanden zwei völlig neue Teilindustrien, die sich auf den Vertrieb spezieller Design-Software – bekannt als EDA-Tools – und die Lizenzierung von Chip-Designs an andere Unternehmen – Stichwort: Halbleiter-IP – spezialisiert haben.
Die zweite entscheidende Innovation war das “Foundry-Modell ” von Morris Chang. Vor den 1980er Jahren waren praktisch alle Chiphersteller vertikal integriert. Als “Integrated Device Manufacturers” (IDMs) entwickelten und fertigten sie ihre Halbleiter unter einem Dach. Über die Jahre wurde der Herstellungsprozess jedoch immer komplexer und die Konstruktion von modernen Halbleiterwerken (umgangssprachlich als “Fabs” bezeichnet) immer teurer. In den 1980er Jahren betrugen die Kosten für die Gründung eines Chip-Startups mit eigenen Fertigungskapazitäten 50 bis 100 Millionen Dollar , verglichen mit einem Zehntel der Kosten ohne diese Anlagen.
Die Einstiegshürden waren so hoch, dass eine neue Generation von Start-ups – darunter Xilinx, Qualcomm und später Nvidia – nach Möglichkeiten suchte, ihre Fertigung auszulagern und fabless zu werden. Anfänglich bedeutete dies, auf überschüssige Fertigungs- bzw. Foundry-Kapazitäten von IDMs wie Texas Instrument oder Intel zurückzugreifen, da nur diese über eigene Fabs verfügten.
Morris Chang sah in der Trennung von Chipdesign und Chipfertigung eine Marktopportunität: 1987 gründete er mit Unterstützung der taiwanischen Regierung und des niederländischen Technologiekonzerns Philips das Unternehmen TSMC. Als weltweit erste reine “Foundry” (wie Fertigungsbetriebe im Branchenjargon genannt werden) ermöglichte TSMC es, dass sich Chipfirmen von den hohen Fixkosten der Waferherstellung befreien konnten, um sich auf das Design moderner Chips zu spezialisieren.
Obwohl die Technologie von TSMC anfangs hinter ihren Wettbewerbern zurückblieb, profitierte das Unternehmen von einem positiven Skaleneffekt: Je mehr Chips es für seine Kunden produzierte, desto mehr konnte es seinen Produktionsprozess verfeinern und so die Ausbeute (“Yield”) – also den Prozentsatz der verwendbaren Chips in einem fertigen Wafer – erhöhen. Dadurch sank der Preis pro Chip, was TSMC extrem wettbewerbsfähig machte. Als immer mehr Kunden zu TSMC strömten, verfügte Chang auch über das nötige Kapital, um in die nächste Generation von Fertigungstechnologien zu investieren, was das Wachstum wiederum vorantrieb. Sobald dieser “Flywheel Effekt” einmal angestoßen war, konnte TSMC peu à peu zur Spitze aufsteigen.
Kein Gutenberg-Moment für die moderne Chipherstellung
Während TSMC aufholte, schieden andere Unternehmen aus dem Rennen um die Halbleiterfertigung auf höchstem Niveau aus. Die Wirtschaftlichkeit des Foundry-Modells erforderte eine schonungslose Konsolidierung der Branche: Die Chipherstellung ist heute extrem kapitalintensiv und schwer zu beherrschen. Noch dazu gibt es enorme Größenvorteile. Um Morris Chang zu zitieren: „Dieses Geschäft ist wie eine Tretmühle, die immer schneller läuft. Wenn man nicht mithalten kann, fällt man aus der Tretmühle.“
In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Branche von etwa 25 Unternehmen, die modernste Logikchips* herstellen können, auf zwei zurückgegangen: TSMC und Samsung. TSMC ist zudem das derzeit einzige Unternehmen , das in der Lage ist, die fortschrittlichsten Chips in hoher Qualität und großen Stückzahlen zu produzieren.
Miller vergleicht das Ergebnis der Fabless Revolution treffend mit der transformativen Wirkung von Johannes Gutenbergs Druckerpresse: „Carver Mead hatte einen Gutenberg-Moment in der Chipherstellung prophezeit, aber es gab einen entscheidenden Unterschied. Der deutsche Erfinder des modernen Buchdrucks hatte erfolglos versucht, mit seiner Druckerpresse ein Monopol zu errichten. Letztendlich konnte er nicht verhindern, dass sich seine Technologie in ganz Europa ausbreitete, wovon Autoren und Druckereien gleichermaßen profitierten.
In der Chipindustrie brachte Changs Foundry-Modell durch die Senkung der Anlaufkosten zwar Dutzende neuer „Autoren“ – fabriklose Chip-Designfirmen – hervor, die den Technologiesektor durch die Integration von Rechenleistung in alle möglichen Geräte verändert haben. Die Demokratisierung der Autorenschaft fiel jedoch mit einer Monopolisierung der digitalen Druckmaschine zusammen. Die Wirtschaftlichkeit der Chipherstellung erforderte eine unerbittliche Konsolidierung. Das Unternehmen, das die meisten Chips herstellte, hatte einen eingebauten Vorteil: Es konnte seinen Ertrag steigern und die Investitionskosten auf mehr Kunden verteilen… Morris Chang wollte der Gutenberg des digitalen Zeitalters werden. Doch am Ende ging er weitaus mächtiger aus der Revolution hervor.“
Die Zuliefererkette durchlief ähnliche Wellen der Konsolidierung. Moderne Foundries müssen ca. 50 Arten von Maschinen und 400 verschiedene Chemikalien von ihren Lieferanten beziehen. Für viele dieser Ressourcen gibt es weltweit nur wenige – manchmal nur einen – Produzenten. Das bekannteste Beispiel dafür ist das niederländische Unternehmen ASML, das 100 Prozent der weltweiten EUV-Lithografie-Maschinen herstellt. Ohne die Maschinen von ASML ist es schlichtweg unmöglich, die fortschrittlichsten Chips herzustellen.
Die Taiwan-Frage: Wenn Taiwans Chipindustrie ausfiele, käme es zu einer globalen Krise
Die Abhängigkeit der Chipindustrie von einer Handvoll Länder und Unternehmen hat in den vergangenen Jahren zu immensen Engpässen in der Lieferkette geführt. Die amerikanische Handelsorganisation SIA schätzt, dass heute etwa 75 Prozent der weltweiten Fertigungskapazitäten in Asien angesiedelt sind. Taiwan allein stellt 37 Prozent aller Logikchips her, während Südkorea mehr als die Hälfte der weltweiten Speicherchips liefert. Für die fortschrittlichsten Chips ist die Marktkonzentration noch ausgeprägter: TSMC produziert atemberaubende 92 Prozent der modernsten Logikchips – der Rest kommt von Samsung.
Die meisten Fabriken von TSMC und Samsung befinden sich vor der Haustür Chinas und Nordkoreas. Das macht sie für die Vereinigten Staaten und Europa zu einem zunehmenden Sicherheitsproblem. Sollten Taiwans Fabriken eines Tages vom Netz gehen, würde die Chipindustrie im folgenden Jahr knapp 35 Prozent weniger Rechenleistung produzieren. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft wären verheerend und würden die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs in den Schatten stellen.
Chris Miller hat zu diesem Thema kürzlich ein beachtenswertes Interview gegeben: „Der Verlust von Taiwanischen Chips wäre der schlimmste Angebotsschock seit der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929. Heute sind in fast jedem elektronischen Gerät Chips enthalten. Die weltweite Produktion von Smartphones würde um weit mehr als die Hälfte zurückgehen. Viele PC-Prozessoren, einschließlich derer von Apple, können derzeit nur in Taiwan hergestellt werden. Fast alle Grafikprozessoren (GPUs), die in Rechenzentren für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz eingesetzt werden, werden in Taiwan hergestellt. Einige der größten Technologieunternehmen Amerikas hätten Schwierigkeiten, überhaupt etwas zu produzieren.
Im Falle einer Taiwan Krise würde es Jahre dauern, die Kapazitäten im Ausland aufzubauen, da es nur ein begrenztes Angebot an hochkomplexen Maschinen gibt, die für die Herstellung von Chips benötigt werden. Hinzu kommt, dass in diesen Maschinen ebenfalls Chips enthalten sind. Während der jüngsten Chip-Knappheit meldeten Unternehmen, die Maschinen für die Chipherstellung produzieren, ebenfalls Verzögerungen, weil nicht alle benötigten Chips zur Verfügung standen. Es würde Jahre dauern, die Chipherstellungskapazitäten in Taiwan zu ersetzen. Die Verzögerung würde der Weltwirtschaft Verluste in Höhe von mehreren Billionen Dollar bescheren.“
Während ein militärischer Konflikt um Taiwan kurzfristig unwahrscheinlich erscheint, bleiben auf lange Sicht erhebliche Risiken. Sicher ist, dass eine militärische Konfrontation in Taiwan – oder selbst eine Seeblockade der Insel – für alle Beteiligten zu einer „gesicherte gegenseitige wirtschaftliche Zerstörung “ führen würde. Das Problem ist, dass Russlands Angriff auf die Ukraine in Frage gestellt hat, ob wirtschaftliche Interessen China tatsächlich von einem Angriff auf Taiwan abhalten würden.
Miller liefert eine interessante Analogie aus der jüngsten Vergangenheit: Er argumentiert, dass Angela Merkels Energiepolitik – die Deutschland weg von der Kernenergie und hin zu erneuerbaren Energien und russischem Gas lenkte – zum Teil auf der These beruht hat, dass eine wirtschaftliche Verflechtung mit Russland den Kreml von einer Aggression gegen Europa abhalten würde. Das Ergebnis war das Gegenteil.
Die Zukunft der globalen Chipindustrie hängt aktuell jedenfalls davon ab, wie beständig Taiwans „Silizium-Schutzschild ” ist und mit welcher Geschwindigkeit die Lieferketten diversifiziert werden können, um ihre Resilienz zu verbessern.
** Die drei Hauptkategorien von Halbleitern sind (1) Logikchips (für die Verarbeitung von Daten), (2) Speicherchips (zum Speichern von Daten) und (3) diskrete, analoge und andere Chips (z.B. Spannungsregler oder optische Sensoren).*
Dieser Essay erschien zuerst auf Englisch auf muellerfreitag.com . Wolfgang Kerler hat ihn für 1E9 ins Deutsche übersetzt. Zitate und Ausschnitte aus dem Buch wurden ebenfalls frei übersetzt.
Halbleiter sind das Rückgrat der modernen Gesellschaft. Sie beeinflussen eigentlich alles – von der Rechenleistung in unseren Handys und Laptops bis hin zu geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten. Dabei erfordert die Chipproduktion Fertigungsprozesse, die so komplex sind, dass Tausende von hochspezialisierten Unternehmen entlang weltweiter Lieferketten zusammenarbeiten müssen, um sie überhaupt herstellen zu können.
Da grenzt es an ein Wunder, dass diese 65 Jahre alte Industrie Chips fabrizieren kann, die gerade mal so groß wie ein Fingernagel sind und trotzdem Milliarden winziger Transistoren enthalten – und all das zu Preisen, die in das Budget von alltäglichen Elektronikgeräten passen.
Umso erstaunlicher ist es, dass es bislang kaum lesenswerte Bücher über diese faszinierende Branche gab (weder auf Deutsch noch auf Englisch). Die Ausnahme ist Chip War von Chris Miller, einem Historiker an der Tufts University. Das kürzlich erschienene Buch zeigt erstmals, wie technologische, wirtschaftliche und geopolitische Kräfte die Chipindustrie von ihren Anfängen in den Fünfzigern bis heute geprägt haben.
Das Werk bietet zugleich eine fundierte Einführung in die komplexe Wertschöpfungskette der Chipindustrie. Miller bringt Klarheit in ein Thema, welches in den vergangenen Jahren nicht nur das öffentliche Interesse geweckt hat, sondern zunehmend auch die nationalen Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten und Europas bestimmt. Die wachsenden Spannungen um Taiwan machen Chip War zum vielleicht wichtigsten Branchenbuch seit Daniel Yergins Klassiker The Prize (1990) über die Geschichte der globalen Ölindustrie.
Von Vakuumröhren zu Mikrochips – mit dem US-Militär als erstem Großkunden
Die Halbleiterindustrie geht auf zwei technologische Durchbrüche kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Der erste Meilenstein war die Erfindung des Transistors im Jahr 1947, der die Vakuumröhre als Hauptbestandteil von Computern ablöste. Der zweite wichtige Entwicklungsschritt war die Einführung des integrierten Schaltkreises im Jahr 1958, bei dem mehrere Transistoren auf einem einzigen Siliziumblock untergebracht werden. Weitere Innovationen ermöglichten es Chipherstellern, die Größe der Transistoren kontinuierlich zu verringern. Dies war von entscheidender Bedeutung, denn: Je kleiner die Transistoren, desto schneller und energieeffizienter wurden sie, und desto mehr von ihnen konnten auf einer bestimmten Fläche untergebracht werden.
So dauerte es nicht lange, bis die Industrie damit begann, immer mehr Transistoren auf immer kleinerem Raum unterzubringen. Aus diesem Wettlauf der Miniaturisierung ging einige Zeit später das Mooresche Gesetz (“Moore’s Law”) hervor – Gordon Moores berühmte Prognose, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einem Chip etwa alle zwei Jahre verdoppeln würde, wodurch sich auch die Rechenleistung eines Chips verdoppelte. Das Mooresche Gesetz war im Kern eine deflationäre Kraft, da sich mit der verbesserten Rechenleistung auch die Kosten für eine beliebige Funktionalität etwa alle zwei Jahre halbierten – ein Trend, der bis vor kurzem anhielt.
Wie so oft war das Militär der erste Abnehmer für diese Spitzentechnologie.
Die Raketenindustrie war in den 1950er und 1960er Jahren zu einer der wichtigsten Prioritäten der US-Verteidigungspolitik geworden – sowohl um Menschen in den Weltraum zu befördern als auch um Raketen präzise auf die Sowjetunion zu lenken. Die US-Luftwaffe und NASA sahen sich mit dem Problem konfrontiert, dass man nicht einfach einen zimmergroßen Computer in eine Rakete einbauen konnte. Um Flugkörper mit genügend Rechenleistung auszustatten, mussten die elektronischen Komponenten und insbesondere die Transistoren, die in diesen Geräten verbaut waren, drastisch verkleinert werden.
Mit dieser Absicht wandte sich das Militär an die beiden führenden Chiphersteller der damaligen Zeit: Fairchild Semiconductor erhielt von der NASA einen Großauftrag zur Lieferung von Chips für den Apollo Guidance Computer , während Texas Instruments für die Minuteman-II-Rakete engagiert wurde. Von Satelliten bis hin zu Torpedos setzte das US-Militär im Laufe der Zeit Halbleiter in allen erdenklichen Waffen ein. Die Sowjetunion hingegen fand nie einen eigenen Weg, die Rechenleistung derart zu verkleinern und griff auf eine “Copy It”-Strategie zurück, um mit den amerikanischen Innovationen Schritt zu halten.
Ein wiederkehrendes Thema in Chip War ist der enorme Einfluss, den Amerikas Vorsprung in der Halbleiterindustrie auf die militärische Vorherrschaft während des Kalten Krieges hatte. In den meisten Geschichtsbüchern über diese Ära wird die Rolle der Halbleiter regelrecht vernachlässigt. Stattdessen konzentrieren sich die meisten Historiker auf den Wettlauf ins All, das atomare Wettrüsten, die Rolle der Spionage oder die zahllosen Stellvertreterkriege, die die beiden Supermächte führten.
Spionieren und Kopieren war bei Halbleitern aussichtslos
Millers Buch ist die erste bekannte Erzählung, die einer viel grundlegenderen Frage zum Kalten Krieg nachgeht: Warum konnte die Sowjetunion zwar Raketen und Atomwaffen bauen, aber keine nennenswerte Rechenleistung produzieren? Die Gründe für diese Diskrepanz waren tief im sowjetischen System verankert, welches Risikovermeidung und Nachahmung gegenüber Innovation bevorzugte. Die Resultate waren ausgesprochen zwiespältig: Während Kopieren eine gute Strategie für Branchen war, in denen es während des Kalten Krieges nur wenige technologische Fortschritte gab (wie z.B. Atomwaffen), erwies es sich als eine aussichtslose Strategie für eine Industrie, die sich mit der Geschwindigkeit des Mooreschen Gesetzes weiterentwickelte.
Spionage konnte die Sowjets nicht allzu weit bringen, schreibt Miller: „Ein geklauter Chip erklärt nicht, wie er hergestellt wurde, genauso wie ein geklauter Kuchen nicht erklären kann, wie er gebacken wurde. Das Rezept für Chips war schon damals außerordentlich kompliziert… Jeder Schritt des Herstellungsprozesses erforderte Spezialwissen, das nur selten außerhalb der führenden Unternehmen weitergegeben wurde. Das erforderliche Know-How wurde oftmals nicht einmal dokumentiert. Sowjetische Spione gehörten zu den Besten überhaupt, doch der Prozess der Halbleiterherstellung erforderte mehr Details und Wissen, als selbst der fähigste Agent stehlen konnte.
Außerdem änderte sich der Stand der Technik nach dem Mooreschen Gesetz ständig. Selbst wenn es den Sowjets gelang, ein Chipdesign zu kopieren und den Produktionsprozess zu replizieren, brauchte dies Zeit. Texas Instruments und Fairchild führten jedes Jahr neue Designs mit immer mehr Transistoren ein. Mitte der 1960er Jahre waren die ersten integrierten Schaltkreise bereits veraltet – sprich: zu groß und ineffizient, um noch von großem Wert zu sein… Keine andere Technologie entwickelte sich so schnell. Und in keinem anderen Sektor war das Kopieren von Technologiedesigns eine so aussichtslose Strategie.“
Globalisierung der Lieferketten – schon ab den 1960er Jahren
Die Chips, die in den 1960er Jahren auf den Markt kamen, waren anfänglich so teuer, dass nur das Militär als Abnehmer in Frage kam. Doch dank der exponentiellen Natur des Mooreschen Gesetzes konnten Chips bald auch in kommerziellen Geräten eingesetzt werden. Dies markierte einen wichtigen Wendepunkt für die Halbleiterindustrie. Ohne den zivilen Absatzmarkt hätten die notwendigen Kapitalinvestitionen nur schwer finanziert werden können. Im Jahr 1968 – dem Gründungsjahr von Intel – kaufte die Computerindustrie bereits genauso viele Chips wie das Militär. Und das Absatzvolumen wuchs schnell.
Doch das war nicht die einzige wegweisende Veränderung, die in den 1960er Jahren angestoßen wurde: Amerikanische Chiphersteller begannen außerdem damit, Teile ihrer Produktion nach Südostasien zu verlagern. Lohnkosten waren die treibende Kraft: Fabrikarbeiter in Taiwan oder Hongkong verdienten damals 19 bis 25 Cent pro Stunde, verglichen mit 2,50 Dollar in den USA.
Miller schreibt dazu: „Fairchild stellte seine Wafer weiterhin in Kalifornien her, begann aber damit, die Halbleiter zur Endmontage nach Hongkong zu schicken. Im Jahr 1963, dem ersten Betriebsjahr, wurden in der Fabrik in Hongkong 120 Millionen Endgeräte montiert. Die Qualität der Produktion war hervorragend, denn aufgrund der niedrigen Lohnkosten konnte Fairchild geschulte Ingenieure für den Betrieb der Montagelinien einstellen, was in Kalifornien unerschwinglich gewesen wäre.
Fairchild war das erste Halbleiterunternehmen, das die Montage nach Asien verlagerte. Texas Instruments, Motorola und andere Unternehmen folgten kurz darauf ebenfalls. Innerhalb eines Jahrzehnts verfügten fast alle US-Chiphersteller über ausländische Montagefabriken… Die Halbleiterindustrie globalisierte sich bereits Jahrzehnte vor der eigentlichen Globalisierungswelle und legte damit den Grundstein für die asiatisch geprägten Lieferketten, die wir heute kennen.“
In den 1970er Jahren konzentrierte sich die Chipindustrie zunehmend auf die Entwicklung von DRAM-Speicherchips .* Diese strukturelle Veränderung ermöglichte es anderen Nationen erstmals, aktiv in den Halbleiter-Wettbewerb einzusteigen. Japan setzte den Startschuss, indem es massiv in die Produktion von DRAM-Speicherchips investierte und gleichzeitig andere Bereiche der Elektronikindustrie aufmischte. Angefacht von billigen Bankkrediten und staatlicher Unterstützung begannen japanische Unternehmen einen unerbittlichen Kampf um Marktanteile und unterboten ihre amerikanischen Konkurrenten mit Dumpingpreisen.
Die Auswirkungen für US-Firmen waren verheerend.
Besonders stark traf es Intel – den damals führenden Hersteller von Speicherchips –, dessen Marktanteil zwischen 1974 und 1984 von 83 Prozent auf magere 1,3 Prozent fiel. Mit dem Niedergang des Speicherchips-Geschäfts verlagerte Intel seinen Schwerpunkt notgedrungen auf Mikroprozessoren (CPUs). Der Zeitpunkt erwies sich als günstig: Die Erfindung des PCs ließ die Nachfrage nach CPUs sprunghaft ansteigen und verhalf Intel zu neuer Größe.
Der DRAM-Krieg der 1980er Jahre hatte jedoch nicht nur Auswirkungen auf das Speichersegment. Im Bestreben, ihren Wettbewerbsvorteil zurückzugewinnen, verlagerten US-Chiphersteller weitere Teile ihrer Produktion nach Südostasien. Das ermutigte die Regierungen der ostasiatischen Tigerstaaten dazu, in der globalen Wertschöpfungskette weiter aufzusteigen. Durch steuerliche Anreize und andere Subventionen für Halbleiterunternehmen konnten Länder wie Taiwan und Südkorea ihre Industriekompetenz von einfachen Montagearbeiten (“Assembly, Test & Packaging”) zur eigentlichen Waferherstellung (“Wafer Fabrication”) expandieren, was wesentlich höhere Gewinne ermöglichte. Im Laufe der Jahre vertiefte die Region so auch ihre Sicherheitsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten.
Die fabriklose Revolution: Trennung von Chipdesign und -fertigung
Seit den 1980er Jahren haben zahllose Innovationen das Mooresche Gesetz am Leben gehalten. Zwei davon waren so einschneidend, dass sie die gesamte Branche nachhaltig verändert haben. Die erste war die Revolution des Chipdesignprozesses durch Carver Mead und Lynn Conway, die auf ihr 1979 veröffentlichtes Buch Introduction to VLSI Systems zurückgeht.
Vor der Mead-Conway-Revolution war die Entwicklung von Chips ein mühseliger Prozess, bei der jedes einzelne Bauteil manuell auf einem Chiplayout platziert werden musste. Diese Technik eignete sich zwar gut, als Chips lediglich aus einigen hundert Transistoren bestanden, stieß aber an ihre praktischen Grenzen, als die Komplexität der Schaltkreise auf Zehntausende von Komponenten anstieg.
Die Methoden von Mead und Conway ebneten den Weg für Computerprogramme, die den Prozess, einen Chip zu designen, automatisierten und damit zugänglicher und effizienter machten. Im Laufe der Zeit entstanden zwei völlig neue Teilindustrien, die sich auf den Vertrieb spezieller Design-Software – bekannt als EDA-Tools – und die Lizenzierung von Chip-Designs an andere Unternehmen – Stichwort: Halbleiter-IP – spezialisiert haben.
Die zweite entscheidende Innovation war das “Foundry-Modell ” von Morris Chang. Vor den 1980er Jahren waren praktisch alle Chiphersteller vertikal integriert. Als “Integrated Device Manufacturers” (IDMs) entwickelten und fertigten sie ihre Halbleiter unter einem Dach. Über die Jahre wurde der Herstellungsprozess jedoch immer komplexer und die Konstruktion von modernen Halbleiterwerken (umgangssprachlich als “Fabs” bezeichnet) immer teurer. In den 1980er Jahren betrugen die Kosten für die Gründung eines Chip-Startups mit eigenen Fertigungskapazitäten 50 bis 100 Millionen Dollar , verglichen mit einem Zehntel der Kosten ohne diese Anlagen.
Die Einstiegshürden waren so hoch, dass eine neue Generation von Start-ups – darunter Xilinx, Qualcomm und später Nvidia – nach Möglichkeiten suchte, ihre Fertigung auszulagern und fabless zu werden. Anfänglich bedeutete dies, auf überschüssige Fertigungs- bzw. Foundry-Kapazitäten von IDMs wie Texas Instrument oder Intel zurückzugreifen, da nur diese über eigene Fabs verfügten.
Morris Chang sah in der Trennung von Chipdesign und Chipfertigung eine Marktopportunität: 1987 gründete er mit Unterstützung der taiwanischen Regierung und des niederländischen Technologiekonzerns Philips das Unternehmen TSMC. Als weltweit erste reine “Foundry” (wie Fertigungsbetriebe im Branchenjargon genannt werden) ermöglichte TSMC es, dass sich Chipfirmen von den hohen Fixkosten der Waferherstellung befreien konnten, um sich auf das Design moderner Chips zu spezialisieren.
Obwohl die Technologie von TSMC anfangs hinter ihren Wettbewerbern zurückblieb, profitierte das Unternehmen von einem positiven Skaleneffekt: Je mehr Chips es für seine Kunden produzierte, desto mehr konnte es seinen Produktionsprozess verfeinern und so die Ausbeute (“Yield”) – also den Prozentsatz der verwendbaren Chips in einem fertigen Wafer – erhöhen. Dadurch sank der Preis pro Chip, was TSMC extrem wettbewerbsfähig machte. Als immer mehr Kunden zu TSMC strömten, verfügte Chang auch über das nötige Kapital, um in die nächste Generation von Fertigungstechnologien zu investieren, was das Wachstum wiederum vorantrieb. Sobald dieser “Flywheel Effekt” einmal angestoßen war, konnte TSMC peu à peu zur Spitze aufsteigen.
Kein Gutenberg-Moment für die moderne Chipherstellung
Während TSMC aufholte, schieden andere Unternehmen aus dem Rennen um die Halbleiterfertigung auf höchstem Niveau aus. Die Wirtschaftlichkeit des Foundry-Modells erforderte eine schonungslose Konsolidierung der Branche: Die Chipherstellung ist heute extrem kapitalintensiv und schwer zu beherrschen. Noch dazu gibt es enorme Größenvorteile. Um Morris Chang zu zitieren: „Dieses Geschäft ist wie eine Tretmühle, die immer schneller läuft. Wenn man nicht mithalten kann, fällt man aus der Tretmühle.“
In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Branche von etwa 25 Unternehmen, die modernste Logikchips* herstellen können, auf zwei zurückgegangen: TSMC und Samsung. TSMC ist zudem das derzeit einzige Unternehmen , das in der Lage ist, die fortschrittlichsten Chips in hoher Qualität und großen Stückzahlen zu produzieren.
Miller vergleicht das Ergebnis der Fabless Revolution treffend mit der transformativen Wirkung von Johannes Gutenbergs Druckerpresse: „Carver Mead hatte einen Gutenberg-Moment in der Chipherstellung prophezeit, aber es gab einen entscheidenden Unterschied. Der deutsche Erfinder des modernen Buchdrucks hatte erfolglos versucht, mit seiner Druckerpresse ein Monopol zu errichten. Letztendlich konnte er nicht verhindern, dass sich seine Technologie in ganz Europa ausbreitete, wovon Autoren und Druckereien gleichermaßen profitierten.
In der Chipindustrie brachte Changs Foundry-Modell durch die Senkung der Anlaufkosten zwar Dutzende neuer „Autoren“ – fabriklose Chip-Designfirmen – hervor, die den Technologiesektor durch die Integration von Rechenleistung in alle möglichen Geräte verändert haben. Die Demokratisierung der Autorenschaft fiel jedoch mit einer Monopolisierung der digitalen Druckmaschine zusammen. Die Wirtschaftlichkeit der Chipherstellung erforderte eine unerbittliche Konsolidierung. Das Unternehmen, das die meisten Chips herstellte, hatte einen eingebauten Vorteil: Es konnte seinen Ertrag steigern und die Investitionskosten auf mehr Kunden verteilen… Morris Chang wollte der Gutenberg des digitalen Zeitalters werden. Doch am Ende ging er weitaus mächtiger aus der Revolution hervor.“
Die Zuliefererkette durchlief ähnliche Wellen der Konsolidierung. Moderne Foundries müssen ca. 50 Arten von Maschinen und 400 verschiedene Chemikalien von ihren Lieferanten beziehen. Für viele dieser Ressourcen gibt es weltweit nur wenige – manchmal nur einen – Produzenten. Das bekannteste Beispiel dafür ist das niederländische Unternehmen ASML, das 100 Prozent der weltweiten EUV-Lithografie-Maschinen herstellt. Ohne die Maschinen von ASML ist es schlichtweg unmöglich, die fortschrittlichsten Chips herzustellen.
Die Taiwan-Frage: Wenn Taiwans Chipindustrie ausfiele, käme es zu einer globalen Krise
Die Abhängigkeit der Chipindustrie von einer Handvoll Länder und Unternehmen hat in den vergangenen Jahren zu immensen Engpässen in der Lieferkette geführt. Die amerikanische Handelsorganisation SIA schätzt, dass heute etwa 75 Prozent der weltweiten Fertigungskapazitäten in Asien angesiedelt sind. Taiwan allein stellt 37 Prozent aller Logikchips her, während Südkorea mehr als die Hälfte der weltweiten Speicherchips liefert. Für die fortschrittlichsten Chips ist die Marktkonzentration noch ausgeprägter: TSMC produziert atemberaubende 92 Prozent der modernsten Logikchips – der Rest kommt von Samsung.
Die meisten Fabriken von TSMC und Samsung befinden sich vor der Haustür Chinas und Nordkoreas. Das macht sie für die Vereinigten Staaten und Europa zu einem zunehmenden Sicherheitsproblem. Sollten Taiwans Fabriken eines Tages vom Netz gehen, würde die Chipindustrie im folgenden Jahr knapp 35 Prozent weniger Rechenleistung produzieren. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft wären verheerend und würden die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs in den Schatten stellen.
Chris Miller hat zu diesem Thema kürzlich ein beachtenswertes Interview gegeben: „Der Verlust von Taiwanischen Chips wäre der schlimmste Angebotsschock seit der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929. Heute sind in fast jedem elektronischen Gerät Chips enthalten. Die weltweite Produktion von Smartphones würde um weit mehr als die Hälfte zurückgehen. Viele PC-Prozessoren, einschließlich derer von Apple, können derzeit nur in Taiwan hergestellt werden. Fast alle Grafikprozessoren (GPUs), die in Rechenzentren für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz eingesetzt werden, werden in Taiwan hergestellt. Einige der größten Technologieunternehmen Amerikas hätten Schwierigkeiten, überhaupt etwas zu produzieren.
Im Falle einer Taiwan Krise würde es Jahre dauern, die Kapazitäten im Ausland aufzubauen, da es nur ein begrenztes Angebot an hochkomplexen Maschinen gibt, die für die Herstellung von Chips benötigt werden. Hinzu kommt, dass in diesen Maschinen ebenfalls Chips enthalten sind. Während der jüngsten Chip-Knappheit meldeten Unternehmen, die Maschinen für die Chipherstellung produzieren, ebenfalls Verzögerungen, weil nicht alle benötigten Chips zur Verfügung standen. Es würde Jahre dauern, die Chipherstellungskapazitäten in Taiwan zu ersetzen. Die Verzögerung würde der Weltwirtschaft Verluste in Höhe von mehreren Billionen Dollar bescheren.“
Während ein militärischer Konflikt um Taiwan kurzfristig unwahrscheinlich erscheint, bleiben auf lange Sicht erhebliche Risiken. Sicher ist, dass eine militärische Konfrontation in Taiwan – oder selbst eine Seeblockade der Insel – für alle Beteiligten zu einer „gesicherte gegenseitige wirtschaftliche Zerstörung “ führen würde. Das Problem ist, dass Russlands Angriff auf die Ukraine in Frage gestellt hat, ob wirtschaftliche Interessen China tatsächlich von einem Angriff auf Taiwan abhalten würden.
Miller liefert eine interessante Analogie aus der jüngsten Vergangenheit: Er argumentiert, dass Angela Merkels Energiepolitik – die Deutschland weg von der Kernenergie und hin zu erneuerbaren Energien und russischem Gas lenkte – zum Teil auf der These beruht hat, dass eine wirtschaftliche Verflechtung mit Russland den Kreml von einer Aggression gegen Europa abhalten würde. Das Ergebnis war das Gegenteil.
Die Zukunft der globalen Chipindustrie hängt aktuell jedenfalls davon ab, wie beständig Taiwans „Silizium-Schutzschild ” ist und mit welcher Geschwindigkeit die Lieferketten diversifiziert werden können, um ihre Resilienz zu verbessern.
** Die drei Hauptkategorien von Halbleitern sind (1) Logikchips (für die Verarbeitung von Daten), (2) Speicherchips (zum Speichern von Daten) und (3) diskrete, analoge und andere Chips (z.B. Spannungsregler oder optische Sensoren).*
Dieser Essay erschien zuerst auf Englisch auf muellerfreitag.com . Wolfgang Kerler hat ihn für 1E9 ins Deutsche übersetzt. Zitate und Ausschnitte aus dem Buch wurden ebenfalls frei übersetzt.