NewsAktuelles

Wirtschaftswoche, Nell Rubröder: Generation 50 Plus „Es gibt unglaublich viele Vorurteile gegenüber älteren Menschen“
Der demografische Wandel wird eine große Lücke auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Dennoch zögern Unternehmen, Ältere einzustellen. Uwe-Matthias Müller vom Bundesverband 50 Plus warnt vor negativen Folgen für die deutsche Wirtschaft.

WiWo:
Herr Müller, angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels müssten sich Arbeitgeber eigentlich um die Generation 50 plus reißen. Tatsächlich gestaltet sich die Jobsuche für Ältere aber oft sehr schwierig. Wie bewerten Sie diese Diskrepanz?

Uwe-Matthias Müller:
Schon vor 15 Jahren war klar, dass wir aufgrund des demografischen Wandels auf ein riesiges Loch am Arbeitsmarkt zusteuern und etwas tun müssen. Auch deshalb wurde der Bundesverband 50Plus gegründet. Aber ich bin ehrlich: Seit der Gründung unseres Verbandes hat sich für die Generation 50 Plus auf dem Arbeitsmarkt nicht viel verändert. Es gibt zwar mehr Medienberichte und das Bewusstsein für den Fachkräftemangel ist gestiegen – aber dass Ältere jetzt leichter Arbeit finden, sehe ich nicht.

WiWo: Also haben Sie Ihr Ziel verfehlt?

Müller: Die Politik setzt immer noch zu stark auf qualifizierte Zuwanderung, um die Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu schließen. Es gibt hierzulande einfach zu viele strukturelle Probleme wie Wohnungsmangel und Engpässe im Bildungssystem, um genügend Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu locken – schon gar nicht aus dem europäischen Ausland.

WIWO: Wieso erkennen Unternehmen das Potenzial der Generation 50 Plus dann nicht?

Müller: Wenn man darüber nachdenkt, ist es wirklich nicht verständlich, warum insbesondere kleine und mittlere Unternehmen nicht mehr Anstrengungen unternehmen, um ihre älteren Mitarbeiter im Betrieb zu halten, sie weiterzubilden und sich um ihre Gesundheit zu kümmern. Genauso wird bei der Einstellung neuer Mitarbeiter immer noch sehr genau auf das Geburtsdatum geachtet. Vor ein paar Wochen rief mich eine 52-jährige Frau an, die über 150 Bewerbungen abgeschickt hatte und nur von dreien eine direkte Absage erhalten hat – die anderen haben sich noch nicht einmal gemeldet. Solche Geschichten höre ich immer wieder.

WiWo: Das macht nicht gerade viel Mut, Bewerbung Nummer 151 zu schreiben.

Müller: Natürlich fangen viele an stark an sich zu zweifeln oder geraten in eine mentale Abwärtsspirale. Das macht das Ganze nur noch schlimmer. Verbringt man erstmal ein Jahr oder anderthalb Jahre auf dem Arbeitsmarkt, sind die meisten in ihrer alten Qualifikation nicht mehr zu gebrauchen. Die Ansprüche verändern sich einfach zu schnell.

WiWo: Werden Ältere auf dem deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert?

Müller: Es gibt einfach unglaublich viele Vorurteile gegenüber älteren Menschen. Oft höre ich, dass sie zu oft krank seien, zu teuer sind oder keine Lust mehr auf Weiterbildung haben. Das stimmt aber nicht. Es gibt keine Statistik, die zeigt, dass Ältere öfters krank sind als Jüngere, noch dass die im Arbeitsalltag keine Fortbildungsangebote annehmen. Viele Personaler aber halten an ihren Vorurteilen fest.

WiWo: Eine aktuelle Auswertung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes komm zu dem Schluss, dass lediglich 3,1 Prozent der Stellenausschreibungen ältere Bewerber ansprechen. Hingegen finden sich in vielen Anzeigen Formulierungen wie „Junges und dynamisches Team sucht...“. Auch das ermuntert ältere Menschen nicht gerade, ihre Bewerbung einzureichen.

Müller: Ehrlich gesagt, ich frage mich manchmal, wie das überhaupt möglich ist. Das Antidiskriminierungsgesetz verbietet ausdrücklich, spezifisch nach jungen Talenten zu suchen. Genauso darf man in Stellenanzeigen keinesfalls schreiben, dass man bevorzugt Leute über 50 einstellen möchte. Jegliche Hinweise auf das Alter sind streng verboten. Die Verantwortlichen in den Personalabteilungen sollten aus ihrem eigenen Interesse auf solche Formulierungen verzichten. Wer sich nicht angesprochen fühlt, bewirbt sich auch nicht auf eine Stelle – wo seine Erfahrung und Kompetenz gebraucht werden könnten.

WiWo: Die Coronapandemie beschleunigt den Stellenabbau in der deutschen Wirtschaft – und setzt vor allem Ältere unter Druck. Sie müssen bei der Jobsuche von Grund auf umdenken. Was hat das für Auswirkungen auf die Wirtschaft?

Müller: Wenn das so weitergeht, werden wir für längere Zeit kein Wirtschaftswachstum erleben und dadurch Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. Und was den Arbeitsmarkt betrifft, werden vor allem Unternehmen in ländlichen Gebieten und im Osten Deutschlands Schwierigkeiten haben, ihre Produktion aufrechtzuerhalten. Daneben wird sich der Fachkräftemangel in Engpassberufen wie der Pflege weiter verschärfen: Erst neulich habe ich mit einem Unternehmer gesprochen, der gerne ein Pflegeheim eröffnen möchte, aber keine Betreiber findet, da es kein Personal auf dem Markt gibt. Gleichzeitig steigt die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen rapide an. Das ist eine sehr schlechte Entwicklung.

WiWo: Was können Arbeitgeber denn tun, um auch ältere Beschäftigte länger im Unternehmen zu halten – oder eben doch zu gewinnen?

Müller: Nun, das Beste wäre, sie genauso zu behandeln wie alle anderen Mitarbeiter auch. Man sollte sie weiterhin fördern, ihnen Perspektiven und Fortbildungsmöglichkeiten bieten und ihnen zeigen, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird. Darüber hinaus sollten Unternehmen Beratungen anbieten um herauszufinden, ob ältere Arbeitnehmer auch im Ruhestand weiterhin einen Beitrag leisten wollen. Schließlich möchte nicht jeder in Rente den ganzen Tag Golf spielen oder den Rasen mähen. Das erfordert zwar möglicherweise etwas mehr Aufwand für Arbeitgeber, aber es ist immer noch besser, als den Betrieb aufgrund von Personalmangel schließen zu müssen.