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DER SPIEGEL, MANAGER MAGAZIN: Ausländische Fachkräfte über Deutschland "Die Leute hier sind mir zu unterkühlt, direkt und unfreundlich"
Vor einigen Tagen hat DER SPIEGEL dieses Thema zum Leitartikel erhoben, wir geben hier die Zusammenfassung im MANAGER MAGAZIN wieder, von Verena Töpper


Deutschland fehlen Fachkräfte, daher sollen 1,5 Millionen Talente angeworben werden. Viele Expatriates, die schon hier sind, wollen offenbar lieber wieder weg, zeigt eine Umfrage. Was sie genau stört.

»Ich finde die Diskriminierung hier wirklich schlimm. Ich werde als Person an meinen Sprachkenntnissen gemessen und scheine als eine Art Bürger zweiter Klasse zu gelten, obwohl ich eine sehr erfolgreiche Karriere habe und mit einer EU Blue Card ins Land gekommen bin.«

»Ich empfinde die Deutschen als sehr abweisend.«

»Es ist sehr schwer, hier Freundschaften zu schließen. Sogar nach drei Jahren hier ist es so gut wie unmöglich, in Kontakt mit den Einheimischen zu kommen. Einen internationalen Freundeskreis zu haben ist okay, zumindest, bis jedes halbe Jahr oder so jemand wieder wegzieht. Das Leben hier kann sehr einsam sein.«

Die Zitate stammen von einem Südafrikaner, einer Kanadierin und einem Omaner, die an einer Umfrage unter ausländischen Fachkräften in Deutschland teilgenommen haben. Insgesamt 979 Menschen machten mit, darunter gleich viele Frauen wie Männer. Im Schnitt sind die Befragten 42 Jahre alt. Fast alle haben einen akademischen Abschluss (87 Prozent) – wenig verwunderlich, denn die Umfrage fand unter Mitgliedern von InterNations statt, einem Netzwerk für Akademiker, die als Expats fern der Heimat leben.

InterNations zählt weltweit rund 4,8 Millionen Mitglieder. Einmal im Jahr werden diese Mitglieder aufgerufen, Auskunft über ihr Leben im Gastland zu geben: Wie wohl fühlen sie sich vor Ort? Wie einfach oder schwer war die Wohnungssuche? Wie mühsam war es, Visum, Internetanschluss oder Bankkonto zu organisieren? Und wie leicht fällt das Schließen von Freundschaften?

* 2022 hatte Deutschland in den Kategorien Wohnen, digitale Infrastruktur, Sprache und Verwaltung von 52 untersuchten Ländern am schlechtesten abgeschnitten

* 2023 hat sich daran nichts geändert: Von nun 53 Ländern landet Deutschland in diesen Kategorien wieder auf dem letzten Platz.

Im Gesamtranking schneiden nur Südkorea, die Türkei, Norwegen und Kuwait noch schlechter ab als Deutschland (Platz 49).

Die Lebensbedingungen der Mitmenschen vor Ort spielen in der Umfrage keine Rolle. Viele Staaten, in denen die Menschenrechte wenig zählen, schneiden deshalb überraschend positiv ab.

Die Ergebnisse der Umfrage, an der weltweit 12.065 Menschen aus 172 Ländern teilgenommen haben, liegen dem SPIEGEL vorab vor. Und sie veranschaulichen eindrücklich, was Florian Diekmann vor wenigen Tagen im SPIEGEL-Leitartikel schrieb:

Es reicht nicht, qualifizierte oder ausbildungswillige Arbeitskräfte ins Land zu locken. Wir müssen sie auch zum Hierbleiben bewegen. Das ist die entscheidende Herausforderung. 1,5 Millionen Zuwanderinnen und Zuwanderer braucht Deutschland jedes Jahr, um die Zahl der Arbeitskräfte zu halten, hat die Wirtschaftsweise Monika Schnitzler ausgerechnet . Und die Arbeitsmarktforscher des IAB rechneten vor, dass die Fortzugsquote der ausländischen Bevölkerung auf 4,7 Prozent sinken müsste, sonst wären es noch mehr.

»Es ist ein bisschen wie bei einem löchrigen Wasserschlauch, in den man immer mehr Wasser pumpen muss, um den Druck aufrechtzuerhalten. Wäre es nicht leichter, die Löcher endlich zu stopfen?«, schrieb Diekmann in seinem Leitartikel. »Die Menschen, die zu uns kommen, um zu arbeiten, müssen sich willkommen und erwünscht fühlen. Nicht nur auf dem Amt und am Arbeitsplatz, sondern im Alltag, auf der Straße, im Verein, im Wohnviertel. Daran mangelt es mancherorts noch stark.«

Wie stark, das zeigt die Umfrage unter den Expats in Deutschland:

* Drei von zehn Befragten fühlen sich hier nicht zu Hause und haben kein soziales Netz.
* Jeder Zweite sagt, es sei hierzulande schwer, Freundschaften zu schließen.
* Jeder Dritte stimmt der Aussage zu, Deutsche seien unfreundlich zu ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.

»Die Leute hier sind mir zu unterkühlt, direkt und unfreundlich. Ich habe mich hier als Ausländerin nie wirklich wohlgefühlt. Auch ein ziemlicher Mangel an Flexibilität, interkultureller Sensibilität und Respekt für andere Kulturen ist mir aufgefallen«, schreibt eine Rumänin.

Unsere Arbeitswelt befindet sich in einem rasanten strukturellen Wandel. Die digitale Transformation, die fortschreitende demographische Entwicklung und ein Generationenwechsel auf dem Arbeitsmarkt stellen Unternehmen vor vielfältige Herausforderungen. Agile Methoden, Flexibilität und der Einsatz effizienter Tools können helfen, gute Arbeitskräfte langfristig zu binden und sowohl Produktivität als auch Innovationskraft zu steigern.

Ein Brite meint: »Deutschland scheint in einer Art Teufelskreis gefangen zu sein. Einerseits hat es erkannt, dass es als alternde Gesellschaft mit großen Lücken im verfügbaren Angebot von Arbeitskräften auf Migration angewiesen ist, um reibungslos zu funktionieren. Andererseits vertritt es einen alles andere als pluralistischen Ansatz, um das Leben und Arbeiten in Deutschland einfacher zu machen.«

Ein Nepalese schreibt: »Die kulturellen Unterschiede und die Sprachbarriere haben sich stark auf mein Sozialleben ausgewirkt. Die Einheimischen haben bereits ihren eigenen deutschen Freundeskreis und zeigen keinerlei Interesse an internationalen Freundschaften. Außerdem hat es hier mehrere rassistische Vorfälle gegeben, was ich so nicht erwartet hätte.«

Auch in einer Umfrage des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung erklärten zwei von drei hoch qualifizierten Fachkräften, Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft erfahren zu haben. Für diese Studie waren im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit fast 1900 Menschen über Facebook befragt worden.

Das Ergebnis: Arbeitskräfte aus dem Ausland kehren Deutschland vor allem aus aufenthaltsrechtlichen und beruflichen Gründen den Rücken, etwa, weil sie nur befristet angestellt waren oder weil ihre berufliche Qualifikation nicht anerkannt wurde. »Es hat aber auch mit dem Leben hier zu tun«, sagt Studienleiter Bernhard Boockmann. »Jeder einzelne Grund kann der sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.« Also der, der Leute bewegt, das Land zu verlassen.

So wie Raymund Guevara, 37. Er hat fünf Jahre lang als Pflegekraft in einem Krankenhaus in Niedersachsen gearbeitet, stammt aus den Philippinen – und lebt nun mit seiner Frau in Florida. Dort erhalte er als Pflegekraft staatliche Unterstützung, um ein Haus zu kaufen, berichtet er. Auch den Führerschein zu machen oder eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, sei einfacher als in Deutschland, die Sprache sowieso. »In den USA haben wir mehr Möglichkeiten, und es lebt sich bequemer.«

Arbeitgeber müssen investieren

Die Hamburger Wirtschaftspsychologin Grace Lugert-Jose befragte im vergangenen Jahr mehr als 100 philippinische Pflegekräfte über die sozialen Medien, wie zufrieden sie mit ihrem Job sind. Viele sagten, sie fühlten sich nicht wertgeschätzt und ihre berufliche Qualifikation werde nicht anerkannt. Ein Fünftel berichtete von Diskriminierung und Rassismus. So seien sie etwa beleidigend und herablassend behandelt worden, weil sie noch nicht perfekt Deutsch sprechen.

Integrationsbeauftragte könnten in solchen Fällen helfen. Auch interkulturelle Trainings, in denen alte und neue Beschäftigte für Unterschiede sensibilisiert werden, seien hilfreich, sagt Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er sieht vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht: Sie müssen bereit sein, da mehr zu investieren.

Das allein reicht nach Ansicht von Wirtschaftsprofessorin Jutta Rump von der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen aber nicht aus: »Nichtsdestotrotz ist man an Weihnachten oder Geburtstagen doch wieder allein.« Einsamkeit und Heimweh spielten eine große Rolle. Für die ersten Jahre des Einlebens brauche es deshalb nicht nur ein Begleitprogramm im Betrieb, sondern auch privat. »Die Hürden abzubauen, dass die Leute bleiben, ist ein gesellschaftliches Thema. Das hat auch mit den Menschen im Umfeld zu tun.«