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Wirtschaftswoche: Deutsche wollen zu Hause arbeiten „Homeoffice ist ein Knackpunkt in Bewerbungsgesprächen“, Dominik Reintjes 24.11.2023
In Jobinterviews ringen Kandidaten, Personaler und Chefs um die Anwesenheit im Büro. Studien zeigen, wie Bewerber ihr Gegenüber am besten überzeugen und möglichst viel Homeoffice raushandeln.

Puh, nur zwei Tage Homeoffice pro Woche? Da habe ich mir aber mehr erhofft… Seit der Pandemie ringen Bewerber mit Personalern und Führungskräften in Jobinterviews um die Frage, wie häufig sie Woche für Woche in das gute, alte Büro fahren müssen. Und immer wieder hakt es bei diesem Thema.

„Homeoffice ist inzwischen ein Knackpunkt in vielen Bewerbungsgesprächen“, sagt Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin beim Bundesverband der Personalmanager (BPM). Allzu häufig klaffen die Wünsche der Bewerber und die Regelungen der Arbeitgeber weit auseinander. Und das kann schnell eine Absage bedeuten. „Wenn ich im Unternehmen keine Regelung für ortsunabhängiges Arbeiten habe, ein Kandidat allerdings mehrere Wochen in seinem Ferienhaus arbeiten möchte, dann passt es eben nicht“, sagt Dransfeld-Haase, die hauptberuflich Personalvorständin von BP Europa ist.

In sozialen Medien finden sich zahlreiche Beiträge von Personalern, die sich über die Forderungen von Bewerbern echauffieren. Und von Bewerbern, die sich darüber ärgern, dass die Arbeitgeber beim Thema Homeoffice einfach nicht mit sich reden ließen. Auf Reddit berichtet ein Nutzer beispielhaft von einem Bewerbungsgespräch bei einem Konzern: Er habe dem Personaler eröffnet, dass er gerne an zwei bis drei Tagen zu Hause arbeiten wollte. „Daraufhin ist der Recruiter fast explodiert, warum ich das nicht vorher gesagt hätte? Dann hätte man sich die Stunde sparen können“, schreibt der Nutzer.

Bleibt also die Frage, wie es besser geht. Wie Bewerber das Thema ansprechen und möglichst viel Flexibilität vereinbaren. Dazu liefert die Forschung von Arbeitspsychologinnen und Arbeitspsychologen einige praktische Ratschläge. Wissenschaftler der Universität im belgischen Gent haben herausgefunden, dass Bewerber zunächst mal ihre Aussichten, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, schmälern, wenn sie den Wunsch nach Homeoffice ansprechen. Erwähnen sie das Thema nicht, sind ihre Chancen größer.

Die vier Wissenschaftler haben für ihre Arbeit, die bislang als Diskussionspapier erschienen ist, aber noch nicht in Fachjournals veröffentlicht wurde, im vergangenen Jahr 266 Recruiter belgischer Unternehmen im Rahmen eines Experiments befragt. Die Recruiter erhielten fiktive Steckbriefe von Bewerbern und sollten sich vorstellen, einem Kollegen, der bereits eine Vorauswahl getroffen hat, einen Rat zu geben. Im Steckbrief stand unter anderem, ob die Bewerber ein bis zwei Tage Homeoffice in der Woche machen wollen und warum sie das vorhaben: um produktiver arbeiten zu können oder um die eigene Work-Life-Balance zu verbessern.

Produktiv statt entspannt

So ermittelten die Forscher, wie wahrscheinlich es ist, dass die Bewerber zum Jobinterview eingeladen werden. Das Ergebnis: Bewerber, die ein bis zwei Tage in der Woche von zu Hause aus arbeiten wollen, weil sie dort produktiver sind, schneiden auf der Skala von eins bis zehn 0,2 Punkte schlechter ab als Bewerber, die gar keine Präferenz für das Homeoffice angeben. Wer von zu Hause arbeiten will, um Leben und Beruf besser in Einklang zu bringen, schneidet in der Gunst der Recruiter mehr als 0,5 Punkte schlechter ab.

Die Erkenntnisse decken sich mit einem Ratschlag von Dransfeld-Haase: „Es ist sicherlich ratsam, im Jobinterview mit der Produktivität zu argumentieren und nicht die Vorzüge des Homeoffice für die eigene Freizeitgestaltung zu betonen.“ Für sie allerdings entscheidender: die richtige Vorbereitung. „Ich rate dazu, dass sich Kandidaten vor dem Gespräch intensiv damit befassen, wie die Unternehmen das Homeoffice regeln. Zwar sind Betriebsvereinbarungen nicht unbedingt öffentlich, aber viele Informationen finden sich auch in Arbeitgeberbewertungsportalen wie Kununu oder Glassdoor“, sagt Dransfeld-Haase. Mehr als ein Drittel der deutschen Unternehmen hat Betriebsvereinbarungen zum Homeoffice geschlossen, zeigen aktuelle Zahlen des Ifo-Instituts. Mehr als 15 Prozent nutzen Regelungen auf Bereichs- oder Teamebene. Knapp 30 Prozent arbeiten mit individuellen Vereinbarungen und weitere gut 30 Prozent haben keine Regelung oder bieten erst gar kein Homeoffice an.

Mehr als 55 Prozent der Großunternehmen, aber nur 23,8 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) setzen auf eine Betriebsvereinbarung. „Die Regelungen auf Teamebene sind verbreiteter in Großunternehmen als in KMUs, während KMUs eher als Großunternehmen auf individuelle Regelungen setzen“, heißt es beim Ifo-Institut.

Allen voran Textilhersteller, Firmen aus der Pharmaindustrie und Informationsdienstleister arbeiten gerade sogar daran, noch strengere Regeln einzuführen, zeigen die Ifo-Zahlen. Auch Inga Dransfeld-Haase beobachtet, dass viele Unternehmen aktuell daran arbeiten, die Mitarbeiter verstärkt ins Büro zu holen und bestehende Betriebsvereinbarungen neu verhandeln würden. Da fällt die Verhandlung über die eigenen Homeoffice-Ansprüche noch mal schwerer.

Passen Wunsch und Wirklichkeit nicht zusammen, würde Dransfeld-Haase von einer Bewerbung abraten. „Fragen kostet bekanntlich zwar nichts, doch viele Firmen werden wohl kaum einzelnen Mitarbeitern Sonderregelungen gewähren, sonst wächst ihnen das ohnehin schon emotionale Homeoffice-Thema schnell über den Kopf.“

Dransfeld-Haase rät dazu, das Homeoffice behutsam und erst gegen Ende des Jobinterviews anzusprechen. „Häufig fragen Personaler oder Führungskräfte dann, was den Bewerbern wichtig wäre oder was sie noch fragen wollen. Durch Fragen wie ‚Wie wird denn zusammengearbeitet?‘ oder ‚Wie würden die ersten Wochen ablaufen?‘ findet man schnell heraus, wie das Homeoffice im Unternehmen gesehen wird und signalisiert nicht gleich, dass die Frage, wie häufig man ins Büro kommen muss, die wichtigste für sich selbst ist.“

Erst dann, sagt Dransfeld-Haase, sollten Bewerber die eigenen Bedürfnisse formulieren und eben nicht in das Gespräch mit der Forderung nach maximaler Zeit im Homeoffice starten. „Die Brechstange funktioniert im Bewerbungsgespräch nicht.“

Keine Extrameile im Homeoffice?

Die Wissenschaftler aus Gent haben bei ihrer Arbeit auch untersucht, wie Personaler Kandidaten wahrnehmen, wenn diese ihren Wunsch nach Homeoffice äußern und begründen. Stellen die Kandidaten die eigene Produktivität voran, um Homeoffice zu machen, schmälert das in den Augen der Recruiter lediglich die erwartete Bindung an das Unternehmen. Deutlich größer sind die negativen Effekte, wenn Kandidaten mit der Work-Life-Balance argumentieren.

Das werten die Recruiter als geringeres Engagement. Als Signal, dass die Bewerber offenbar weniger bereit sind, Opfer für den Job zu bringen. Und als Zeichen dafür, dass die Arbeit offenbar nicht die oberste Priorität der Bewerber ist. Außerdem schwächt diese Argumentation im Experiment die wahrgenommen Karriereambitionen.

„In der Praxis“, so schreiben die Forscher, „würden wir Bewerbern nicht empfehlen, ihren Wunsch nach Telearbeit bereits in der Anfangsphase des Einstellungsverfahrens zu äußern, insbesondere wenn dieser Wunsch aus Gründen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie besteht.“

Wie hinderlich die Flexibilität als Argument sein kann, zeigt auch eine Arbeit aus Spanien, die im Frühjahr 2020 in der Fachzeitschrift European Sociological Review veröffentlicht wurde. 71 Führungskräfte sollten in einem Experiment anhand von sechs Steckbriefen auswählen, wen sie in eine Position befördern würden, in welcher die Bewerber ein Team führen und Entscheidungen treffen müssen. Wer Wert auf Flexibilität legte, schmälerte auch in diesem Experiment die eigenen Erfolgsaussichten, „was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass sie mit mangelndem Engagement verbunden ist“, wie die Forscher aus Madrid und Barcelona schreiben.

Bewerberinnen und Bewerber sollten sich also gut überlegen, wie und wann sie das Homeoffice im Bewerbungsgespräch thematisieren sollten. Und ob sie das überhaupt tun sollten. Denn immerhin nehmen sie damit im Job Einbußen in Kauf, wie eine Studie von zwei US-Forschern zeigt, die im Februar 2020 im Journal of Vocational Behavior erschienen ist. Sie haben die Karrierepfade von mehr als 400 Arbeitnehmern samt Daten zu Gehaltserhöhungen und Beförderungen analysiert. Wer im Homeoffice arbeitete, wurde zwar nicht per se seltener befördert als die Bürokollegen, musste aber mit einem geringeren Gehaltswachstum leben. Und: Je häufiger jemand im Homeoffice arbeitete, desto seltener stand eine Beförderung an und desto geringer fiel die Gehaltserhöhung aus.

„Was darauf hindeutet, dass nicht die Telearbeit an sich, sondern vielmehr das Ausmaß der Telearbeit den beruflichen Erfolg beeinflusst“, wie die Forscher schreiben.